Vor dem Sturm (German Edition)
eine Grimasse.
»Na los, machen wir dem Nigga die Freude«, sagt Rico zu Kilo.
Schweiß und Blut rinnen rot und grau an Chinas Brustkorb hin unter.
»Auf geht’s, Kilo.«
Kilo rennt los.
»Los, China!«, schreit Skeetah, und China rast vorwärts. Von ihrer Brust tropft Blut und hinterlässt eine Spur auf dem Gras.
Sie treffen aufeinander. Sie erheben sich. Sie umarmen sich. Sie beißen zu, Nacken an Nacken. Sie bringen einander zum Knurren, und der Wind fegt über die Lichtung und trägt das Knurren davon.
Kilo packt erneut Chinas Schulter und wirft den Kopf nach hinten, um sie zu schütteln.
Skeetahs Fäuste sind fest geballt, sein ganzer Körper scheint zu knistern.
»Zeig’s ihnen!«, ruft Skeetah, kaum lauter, als wenn er spricht.
China hört es.
»Zeig’s ihnen.«
Sie ist Feuer. Sie wirft den Kopf nach hinten in die Luft, als würde sie Sauerstoff tanken, Kraft schöpfen, und drückt sichdann wieder auf Kilo hinab, nimmt seinen Nacken zwischen die Zähne. Sie rollt sich ihm entgegen und leckt ihn, eine liebende Flamme. Sie dreht sich um und ist über ihm, obwohl er immer noch ihre Schulter festhält. Er windet sich unter ihr. Sie kaut. Das Feuer lässt das Wasser verdunsten.
Zeig’s ihnen zeig’s ihnen zeig’s ihnen sie können nicht ohne dich leben
, sagt Skeetah. China hört ihn.
Hallo Vater
, sagt sie züngelnd.
Ich habe keine Milch für dich
. China lodert. Kilo schnappt wieder nach ihrer Brust, aber sie schüttelt ihn mit der Schulter ab.
Aber ich habe das hier
. Ihre Kiefer sind eine Mausefalle, die um Kilos Nacken herum zugeschnappt ist.
Kilos Aufschrei ist laut und hoch, als würde der Wind pfeifen, der an Chinas Zähnen vorbeiweht.
Skeetah lächelt.
Skeetah ruft: »Komm, China!«
China dreht sich, reißt ein Stück aus Kilos Kehle heraus.
China kommt.
»Warte! Warte!«, schreit Rico schwitzend, mit verzerrtem Gesicht. Er schleppt Kilo über den sandigen Boden des Teichs. Manny kniet sich hin, schaut mich, Skeetah und China mit einem einzigen Blick an, und es sieht aus, als wenn er uns alle hasst. Ich wünschte, es würde nicht wehtun, aber das tut es doch.
Kilo jammert.
Rosa Akazienblüten schweben im Wind auf und ab. Marquises Bruder hat Junior allein gelassen; er ist schnell vom Baum geklettert und hat sein Gesicht in Jeromes Bein vergraben; seine rosa bestäubten Schultern zittern. Junior hockt noch in der Akazie, seine Hände auf den Ästen sind ganz weiß und zucken, als wolle er das Holz durchbrechen. Mit aufgerissenen Augen hat er seinen Blick auf den winselnden Kilo geheftet. Junior schüttelt sich im Takt zu Kilos Klagelauten, und sie werden zu einem Lied.
Der neunte Tag
HURRIKANFINSTERNIS
D IE G ERÄUSCHE VON JEMANDEM , der sich im Badezimmer übergibt, wecken mich. Im Halbschlaf sehe ich mich selbst im Bad, über die Toilette gebeugt, eine Hand hinten an der Kloschüssel, kotzend. Aber dann wird das Würgen lauter, klingt so, als würde sich meine Zunge von unten aufwickeln und aus meiner Kehle hin ausrollen, und mir wird klar, dass ich mich nicht übergebe. Ich bin dabei nie so laut, mache nicht solche Geräusche. Das Badezimmer verschwindet, und ich erwache im Zwielicht der Morgendämmerung, sehe die Zimmerdecke, Junior, der in seinem Einzelbett schläft und Decke und Kissen auf den Boden gestrampelt hat, und unsere rissige Tür.
Es ist Daddy, der im Badezimmer auf dem Boden hockt. Daddy hat eine Hand an der Schüssel, ein Knie auf dem Boden. Daddy sieht aus, als wolle er ins Klo abtauchen, seine Zunge ausspucken.
»Daddy?«
»Hol Randall«, haucht er, und dann krümmt sich sein Rücken, und es hört sich an, als würde er in Stücke gerissen.
Im Flur ist es noch dunkel. Randall liegt in seinem Bett, Skeetah nicht. Nach dem Kampf gestern hat er China unter der Glühbirne an der Hintertür gewaschen. Er hat sie abgerubbelt und sich dann auf die Stufen gesetzt und aus einer schmutzigen, zerknautschten Tube eine antibiotische Salbe auf die Stellen getupft,an denen Kilo sie gebissen und ihr das Fell abgerissen hat. Ihr Bein, ihre Schulter und ihre abgerissene Brust sahen wie rohes Fleisch aus, und Skeetah hat die verschlissene elastische Binde, mit der er seinen Bauch verbunden hatte, genommen und in drei Teile geschnitten. Dann hat er Chinas Bein, Hals und Schulter und ihren Bauch verbunden und den Verband festgesteckt. Während er sie zusammenflickte, stand sie ruhig hechelnd mit zusammengekniffenen Augen da und ließ ihn gewähren. Alle paar Minuten wedelte
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