Vor dem Sturm
ist kein Krähennest. Es kann nicht sein, daß die große Tat kleinmütig gemißbilligt worden sei, und wär es
doch
, nun so kräftige sich in uns der Glaube: es ist nicht, auch wenn es ist. Seien wir voll der Hoffnung, die Mut, und voll des Mutes, der Hoffnung gibt. Vor allem tun wir, was der tapfere General tat, das heißt,
entscheiden
wir uns.«
Enthusiastisch antwortete das Auditorium, dann schwieg alles, und keine weiteren Demonstrationen wurden laut, auch nicht, als mit dem Glockenschlage zwölf der Vortragende abbrach und rasch das Katheder verließ. Nur wie zum Zeichen persönlicher Verehrung folgten ihm viele durch die langen Korridore hin, bis er aus dem westlichen Flügel des Gebäudes ins Freie trat.
Lewin war im Auditorium zurückgeblieben, um Jürgaß zu begrüßen, den er während der Vorlesung auf einer der vordersten Reihen bemerkt hatte. Er fand ihn in eifrigem Gespräch mit einem jungen Manne, der nach der Beschreibung, die Tubal in seinem Weihnachtsbriefe gemacht hatte, niemand anders sein konnte als Hansen-Grell. Und in der Tat, er war es.
Nach kurzer Vorstellung, in der Jürgaß seiner Liebhaberei für kleine Neckereien wie üblich die Zügel hatte schießen lassen, schritten alle drei erst auf das Portal, dann auf das zwischen den steinernen Schilderhäusern gelegene Gittertor zu und bogen schließlich, um einen gemeinschaftlichen Spaziergang zu machen, nach rechts hin in die Linden ein.
Diese waren, trotzdem es ein prächtiger, wenn auch kalter Tag war, wenig besucht, und nur an dem Hin-und Herfahren vieler Equipagen ließ sich erkennen, daß in den diplomatischen Kreisen eine Aufregung herrschen müsse.
An der Ecke des Redernschen Palais, das damals seine Schinkel- Renovierung noch nicht erfahren hatte, begegneten unsere drei Freunde dem Major von Haacke, der eben von seinem Prinzen kam.
»Guten Tag, Haacke. Wie steht es?«
»Nicht gut.«
»Also doch.«
»Der König ist indigniert; Natzmer mit Ordres, die an Schärfe nichts zu wünschen übriglassen, geht noch heute ins Hauptquartier ab. Kleist übernimmt das Kommando. Den Alten werden sie vor ein Kriegsgericht stellen; hat er Glück, so kann es ihm den Kopf kosten.«
»Alles Komödie! Es kann nicht sein. Ich kenne Yorck; so brav er ist, so schlau ist er auch. Er hat Instruktionen gehabt.«
»Ich glaub es nicht. Dies sind nicht Zeiten für Instruktionen; sie binden nicht bloß den, der sie empfängt, sondern auch den, der sie gibt. Und das Schlimmste ist, sie kompromittieren am dritten Ort. Es lebt sich jetzt am besten von der Hand in den Mund, und die einzige Instruktion, die jeder stillschweigend empfängt, heißt: ›Tue, was dir gut dünkt, und nimm die Folgen auf dich.‹«
Damit trennte man sich wieder, und unsere Spaziergänger schritten am Rande des Tiergartens hin, einem Lokale zu, das der Mewessche Blumengarten hieß. Sie nahmen an einem kleinen Tische Platz, setzten die Bedienung durch mehrere Forderungen, die sämtlich nicht ausgeführt werden konnten, in Verlegenheit und begnügten sich endlich damit, einen Kaffee zu bestellen, von dem, in Erwägung, daß es ein Uhr war, keiner recht wußte, ob er ihn sich als einen zweiten Morgen- oder einen ersten Nachmittagskaffee anrechnen solle.
Lewin war all die Zeit über weniger mit der Kapitulation als mit der Kastaliasitzung beschäftigt gewesen. Diese reihum gehenden Reunions in ihrem literarischen Gehalte jedesmal so glänzend wie möglich zu gestalten bildete den Ehrgeiz jedes einzelnen; heute versammelte man sich bei ihm, und noch war seinerseits nichts geschehen, um den Erfolg des Abends sicherzustellen.
Er klagte darüber scherzhaft zu Jürgaß, der ihn in gleichem Ton erst auf die beiden angekündigten Gäste – wie sich bei dieser Gelegenheit ergab, die Herren von Hirschfeldt und von Meerheimb – und, als auch das nicht völlig ausreichen wollte, auf Hansen-Grell verwies, der, soweit seine Wissenschaft reiche, immer etwas Frisches und leidlich Lesbares in der Tasche habe. »Sans doute, aujourd'hui comme toujours.«
Hansen-Grell behauptete das Gegenteil, aber doch mit einer Miene, die gegründete Zweifel in seine Versicherung gestattete. Jürgaß schüttelte den Kopf, und selbst Lewin entschloß sich zu direkterem Vorgehen.
»Haben Sie etwas?«
»Nein.«
»Ich kenne das«, warf Jürgaß ein. »Suchet, so werdet ihr finden.«
Es entstand eine kleine Pause; dann endlich sagte Hansen-Grell, indem er ein dickes Notizbuch aus der Tasche zog: »Gut, ich habe
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