Vor dem Sturm
Hause, denn unsere Mutter lebt noch.«
»Und da sind Sie wohl immer auf dem Amt gewesen?« fragte Renate.
»Ja, bis vor anderthalb Jahren. Ich hatt es gut. Die junge Frau war das einzige Kind, und wir waren immer zusammen, und da sah und hört ich alles. Der jetzige Amtmann hielt es mit der Mutter und hat sich hineingeheiratet; er war erst bloß Verwalter. Und man merkt es auch noch; auf dem Hof hat er das große Wort, aber in der Stube ist er mäuschenstill, denn die Mutter hat das Regiment, und die Tochter lernt es jeden Tag besser.«
»Und
Ihr
Mann, liebe Frau Kemnitz, der war wohl auch auf dem Amt?«
»Ja, er war der Meier. Er diente schon das siebente Jahr und sah mir immer nach den Augen, daß ich lachen mußte. Und erst wollt ich ja nicht, aber da sagte mir Pastor Lämmerhirt, ›ich sollte mich nicht um mein Glück bringen‹. Da nahm ich ihn denn, und es tut mir auch nicht leid, denn er ist gut gegen mich, und nun gar der Junge, Sie glauben nicht, wie er das Kind liebt. Da muß man denn schon ein Auge zudrücken.«
»Das muß eine gute Frau immer«, sagte die Schorlemmer und hob in freundlicher Ermahnung ihren Zeigefinger. »Eine gute Frau muß die Augen immer aufhaben, aber sie muß sie auch zuzumachen verstehen, je nachdem. Sie muß alles sehen, aber sie muß nicht alles sehen
wollen.
«
Die Krügersfrau, die nach Art der Dorfleute bei Sehen und Nichtsehen immer nur an Liebesgeschichten dachte, mißverstand die sehr anders gemeinten Worte Tante Schorlemmers und antwortete lachend: »Ach, so was ist es ja nicht; da käm er mir auch recht.«
»Nun, was ist es denn?« fragte Renate neugierig.
»Ja, was ist es, Fräuleinchen? Ich schäme mich fast, davon zu sprechen. Er schläft immer, und das soll nicht sein. Des Abends, wenn die Gaststube leer ist, les ich ihm eine Gesangbuchepistel vor, so bin ich großgezogen, so war es bei meinem Vater selig, und so war es auch auf dem Amt. Und wenn auf dem Amt auch keiner recht hinhörte, so taten sie doch so. Aber mein Kemnitz schläft. Eine Zeitlang hab ich ihn lesen lassen, bis ich sah, daß es auch nicht ging. Er hat immer den Sandmann in den Augen.«
»Das ist aber doch nichts Schlimmes, meine liebe Frau Kemnitz«, sagte Renate.
»Doch, gnädiges Fräulein«, erwiderte die Krügersfrau. »Und wenn er bloß schliefe, wenn er schläft; aber er schläft auch, wenn er wach ist. Und das ist das Allerschlimmste. Er vergißt alles, er hat gar keinen Merk. Sehen Sie, letztes Vogelschießen, da hatten wir das Haus voll, alle Stuben, und ich war oben und unten, in Küche und in Keller, und wir verschenkten einen halben Anker Wacholder. Ja, verschenkt haben wir ihn, denn mein Kemnitz vergaß die Kreidestriche, und als er sie zuletzt machte, so nach Gutdünken, weil er sich vor mir fürchtete, da waren sie falsch, und wir hätten noch Streit und böse Nachrede gehabt, wenn ich nicht, als der Lärm eben anfing, dazugekommen wäre. Da fuhr ich denn mit meinem Ärmel über die ganze Rechnung hin und sagte: ›Es ist alles frei gewesen‹, und brachte jedem ein Extraglas und tat, als ob es mich freute, denn die Bauern sind sehr schwierige Leute. Aber in der Nacht hab ich meine blutigen Tränen geweint.«
Die Krügersfrau hatte sich so hineingesprochen, daß ihr noch in der Rückerinnerung wieder die Tränen in die Augen kamen, aber sie fühlte auch zugleich, daß Reden und Aussprechen der beste Trost sei, und so fuhr sie fort: »Und wenn es noch so wäre wie den vorvorigen Sommer. Aber da haben wir ja jetzt den ›Roten Krug‹, keine hundert Schritt vom Dorf, nach Taßdorf zu. Ostern fing er an zu bauen, Pfingsten war alles unter Dach, und Johanni zog er ein. Er heißt Bindemeier und ist ein verdorbener Stellmacher; ein schlechter Mensch, der immer abbrennt und immer in Scheidung lebt. Er hat nun schon die dritte Frau; aber die Kinder sind von der ersten, auch die Line, die morgen Hochzeit macht.«
»Hochzeit, wen heiratet sie denn?« fragte Renate.
»Einen Dahlwitzer Bauerssohn. Erst sollt es ja nicht sein. Der Alte drüben wollte nicht, denn er ist geizig und hat den Bauernstolz. Aber da ging ja die Line nach Dahlwitz und hat den Alten so mitbehext, daß er jetzt Stein und Bein schwört, wenn der Junge sie nicht nähme, so wollt er sie selber nehmen, denn er ist ein Witwer.«
»Ist sie denn so hübsch?«
»Nein, hübsch ist sie nicht; aber sie hat so ein Wesen. Und von wem hat sie's? Vom Vater hat sie's. Und das ist es ja eben. Denn sehen Sie, Fräuleinchen, er
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