Vor dem Sturm
hat bloß die Schankgerechtigkeit und ist gar kein richtiger Krüger, wiewohlen er den ›Roten Krug‹ hat; aber das muß wahr sein, das Krügern versteht er. Und mein Kemnitz versteht es nicht. Der kreidet gar nicht an und der andere doppelt. Und keiner, der in den ›Roten Krug‹ kommt, merkt es, weil er jedem zum Munde redet und immer eine Geschichte hat.«
»Und möchten Sie tauschen?« fragte jetzt Renate, »und einen Mann haben wie den im ›Roten Krug‹?«
»Um Gottes willen nicht«, erschrak die Krügersfrau, »da hätt ich ja keine ruhige Stunde mehr.«
»Sehen Sie, da haben wir das Geständnis Ihres Glücks. Sie haben den Frieden des Gemüts, der das Beste ist. Lassen Sie Ihren Mann nur ruhig schlafen; er ist ein guter Mann, und das ist gerade genug. Schläft er viel, so müssen Sie viel wachen; das hebt sich dann. Etwas fehlt immer, und irgendwo drückt der Schuh einen jeden; den einen hier, den andern da.«
Die Krügersfrau seufzte: »Das hat mir Pastor Lämmerhirt auch gesagt«, und dabei erhob sie sich und schob die Teller zusammen. Aber auf ihr erstes Wort zurückkommend, setzte sie hinzu. »Ein schläfriger Mann ist doch nicht gut, das laß ich mir nicht nehmen.«
Und damit verließ sie das Zimmer. –
»Weißt du, an wen ich habe denken müssen?« fragte Renate.
»Gewiß; an Maline.«
»Nur daß der junge Scharwenka nicht schläfrig ist. Vielleicht zuwenig.«
»Da drückt der Schuh am andern Ende«, schloß die Schorlemmer.
Renate nickte, und müde von den Anstrengungen dieser Tage, warf sie sich auf ihr Bett, um eine Stunde zu schlafen. Die Schorlemmer deckte sie mit einem Mantel zu und ging in das andere Zimmer hinüber. Hier setzte sie sich zu Häupten Lewins und begann an einem Strickzeug zu stricken, das sie sich von der Krügersfrau geborgt hatte, denn ihre Hände konnten nicht ruhen.
Als die Sonne schon im Sinken war, brachen Renate und die Schorlemmer auf, um einen Spaziergang zu machen, wozu die Luft und die Beleuchtung aufforderten. Sie gingen die nach Taßdorf führende Pappelallee hinunter, an dem »Roten Kruge« vorbei, wo schon alles in hochzeitlicher Vorbereitung war. Keines sprach; endlich sagte die Schorlemmer, als ob sie wisse, daß Renatens Gedanken denselben Weg machten: »Und nun so weggenommen, ohne Vorbereitung und ohne Abendmahl, und nichts in Händen als ein französisches Buch. Daraufhin wird einem nicht aufgetan.«
Sie waren stehengeblieben und sahen jetzt über einem dunkeln Waldstreifen den Mond aufgehen, blaß und silbern.
»Dorthin liegt Guse«, sagte Renate.
Die Schorlemmer bejahte.
»Ich glaube, sie begraben sie jetzt. Mir ist, als hörte ich das Singen.«
»Möge Gott ihrer Seele gnädig sein!«
Und beide falteten die Hände und gingen in das Dorf zurück.
Drittes Kapitel
»So spricht die Natur«
Die Nacht über hatten abwechselnd die Krügersfrau und eine alte Frau aus dem Dorfe bei Lewin gewacht; nun war es neun Uhr früh, und Renate und die Schorlemmer saßen wieder an seinem Bette. Er schlief unruhiger als die Tage vorher, und einzelne, freilich nur halb verständliche Worte kamen von seinen Lippen. In dem Zimmer lag ein heller Morgenschein, und das Eis schmolz von den Scheiben. Sonst war nichts hörbar als das Zwitschern eines Zeisigs und das Klappern von Tante Schorlemmers Nadeln. So verging eine halbe Stunde, während welcher die Frauen vor sich hin oder auf den Kranken sahen. Jetzt traf die Sonne sein Gesicht, und Renate flüsterte: »Sieh, er träumt. Und etwas Freundliches muß es sein.« Und ehe die Schorlemmer antworten konnte, gingen draußen die Glocken, und Lewin erwachte. Sein erster Blick fiel auf die Schwester. Er erkannte sie und sagte: »Renate.«
Diese war aufgesprungen, nahm ihn in ihre Arme und rief ein Mal über das andere: »Mein lieber, lieber Lewin.« Tante Schorlemmer strickte weiter, aber ihre Lippen zuckten. Als Lewin sie bemerkte, nickte er ihr zu und gab ihr die Hand.
Es war ersichtlich, daß er noch sehr matt war. Sie legten ihm ein Kissen in den Rücken, so daß er mehr saß als lag, und sein Auge lief nun im Zimmer umher, um sich zurechtzufinden.
»Wo bin ich?«
Sie nannten ihm den Namen des Dorfes. Er schüttelte den Kopf, schien sich aber zu besinnen und fragte dann: »Wo ist Papa?«
»In Guse.«
»In Guse? Warum in Guse?«
Renate und die Schorlemmer sahen einander an und wußten nicht, was antworten. Aber Renate faßte sich bald und sagte ruhig:
»Tante Amelie ist tot.«
»So, so... wie alt
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