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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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war sie?«
    Es blieb bei der Frage, denn sein Bewußtsein begann wieder zu schwinden, und einen Augenblick später lag er abermals in tiefem Schlaf. Und doch war er dem Leben wiedergegeben, er hatte gesprochen, und beide Frauen reichten sich in freudiger Bewegung und wie zum Ausdruck ihres Dankes die Hand.
    So war eine halbe Stunde vergangen, als die Krügersfrau in sichtlicher Erregung eintrat. »Eben kommt der Zug«, rief sie und vergaß, was sie doch sonst immer tat, ihre Stimme zu dämpfen. »Die Orgel spielt schon. Und die Jungschen vom Amt sind auch mit dabei. Schlimm genug. Nur die Alte nicht, die hält zu uns. Jott, Jott, ich zittre.«
    »Aber so machen Sie doch, liebe Frau Kemnitz, daß Sie den Zug nicht versäumen oder wenigstens mit in die Kirche kommen«, sagte die Schorlemmer und drängte die Krügersfrau gutmütig auf die Türe zu.
    »Ich kann ja nicht«, lamentierte diese. »Wir sind ja Feindschaft. Und die Leute würden mit Fingern auf uns zeigen und sagen, daß wir ihnen das Glück wegwünschten. Nein, das geht nicht.«
    »Ich möchte die Braut schon sehen«, sagte Renate.
    »Ach, Fräuleinchen, deshalb komm ich ja eben. Hübsch ist sie nicht, aber, wie ich Ihnen schon sagte, sie hat so was. Und dann erzählen Sie mir nachher, wie sie aussah. Jott, ich weiß nicht, was ich drum gäbe. Ja, Fräuleinchen, Sie müssen die Braut sehen und die liebe Tante Schorlemmer, wenn ich Sie so nennen darf, auch. Vier Augen sehen mehr als zwei. Ach, da kommen sie schon; das ist die Musik, und ich darf nicht einmal ans Fenster. Und wenn ich auch dürfte, der Zug kömmt ja nicht vorbei. Und warum nicht? Bloß weil sie denken, wir haben ihnen Häcksel über den Weg gestreut.«
    Renate sah der Schorlemmer nach den Augen, ob sie es auch recht fände. »Geh nur, Kind«, sagte diese, »ich komme mit. In der Kirche sein bringt nie Schaden. Du siehst dir die Braut an, und ich weiß schon, was ich zu tun habe.«
    Die Krügersfrau war hocherfreut, lief hin und her und bedankte sich abwechselnd bei der Schorlemmer und bei Renaten. Dann brachte sie zwei dicke Porstsche Gesangbücher, die in Sammet gebunden und mit Metallzwingen zugehalten waren, und versprach ein Mal über das andere, bei dem Kranken bleiben zu wollen. »Hier hab ich was zu tun«, schloß sie, »und dabei vergeht mir die Zeit und ist mir am wohlsten. Es soll ihn keine Fliege stören.« Renate und die Schorlemmer aber nahmen ihre Mäntel um, sahen noch einmal auf Lewin, der ruhig weiterschlief, und verließen das Zimmer, während sich die Krügersfrau an das Fußende des Bettes setzte.
    Sie konnten noch nicht über die Straße sein, als die Glocken zum dritten Mal zu läuten begannen. Endlich aber wurd es still. »Nun singen sie«, sagte die Frau vor sich hin. »Jott, Jott, ich hätte sie so gern gesehen; er soll ihr eine silberne Kette geschenkt haben mit Schloß und Schieber. Er kann es; hat sie doch den Alten mit in der Tasche. Ein freches Ding, und dabei rotes Haar und Sommersprossen. Aber ich will nichts gesagt haben; sie steht jetzt vorm Altar. Und vielleicht ist sie nicht so schlimm. Jott, gib ihr deinen Segen und uns auch. Denn auf Kemnitz ist kein Verlaß. Und ich kann ja doch nicht alles alleine machen.«
    Während sie noch diesen Stoßseufzer betete, schlug Lewin, ohne vorher einen unruhigen Schlaf gezeigt zu haben, beide Augen auf und sah die Krügersfrau freundlich an. Er war durch die letzte Stunde Schlaf ganz ersichtlich gestärkt worden. »Wo ist Renate?« fragte er. »Ich meine das Fräulein.«
    »In der Kirche, junger Herr. Und die liebe Tante Schorlemmer auch. Ich bin eigentlich schuld, ich habe sie fortgeschickt; das heißt, ich habe sie darum gebeten. Denn wir haben heute eine Trauung; die Line vom ›Roten Krug‹. Sie hat einen Bauerssohn weggeschnappt, einen aus Dahlwitz. Na, ich gönn es ihnen.«
    So schwatzte sie weiter.
    Lewin hatte sich inzwischen aufgerichtet und schien Anteil an allem zu nehmen. Wer ihn aber schärfer beobachtet hätte, hätte sehen müssen, daß er mehr auf das Gezwitscher des Zeisigs als auf das Geplauder der Krügersfrau hörte. Endlich wandte er sich an diese und sagte: »Ich habe Hunger.«
    »Weiß schon«, antwortete die Kemnitzen, und als sie noch ein paar Fragen getan hatte, wußte sie ganz genau, was der Kranke wolle, und lief in die Küche. Hier brannte, wie herkömmlich, das Feuer auf dem Herd; sonst aber hatte sie jegliches selbst zu beschaffen, da das Gesinde drüben in der Kirche war. Sie nahm eine

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