Vor dem Urknall
Während die Luft entfernt wurde, verstummte der Klang der Glocke allmählich, bis nichts mehr zu hören war, denn nun gab es keine Luftmoleküle mehr, die die Klangenergie zum Ohr transportieren konnten. Die Glocke selbst aber verschwand nicht allmählich. Sie war immer noch sichtbar, ganz egal, wie stark das Vakuum im Glas auch sein mochte.
Konfrontiert mit dieser schrecklichen Lücke in ihrer Theorie, klebten sie einen Flicken darüber und nannten ihn Äther. Es war die Vorstellung, es gäbe ein Medium, das den ganzen Weltraum ausfüllte und in dem sich die Lichtwellen kräuselten. Dieser «lichttragende Äther» musste eine ziemlich bemerkenswerte Substanz sein. Er ließ sich überhaupt nicht nachweisen, abgesehen von seiner Wirkung auf das Licht. Man konnte ihn weder berühren noch fühlen. Im Gegensatz zur Luft gab es bei der Bewegung durch den Äther keinen Widerstand. Er ließ sich nicht mit einer Pumpe aus einer Glasglocke heraussaugen. Und was noch merkwürdiger war: Der Äther musste unendlich starr sein. Normalerweise verliert eine Welle, die man durch etwas hindurchschickt, allmählich Energie, da die Biegsamkeit in der Substanz die Energie vom Pfad der Welle ablenkt, und schon bald ist die Welle verschwunden. Aber der Äther erlaubte dem Licht, sich offenbar für immer fortzubewegen, jedenfalls viel weiter, als eine Welle von irgendeiner bekannten Substanz getragen werden konnte.
Erstaunlicherweise hielten die Wissenschaftler noch eine Zeitlang an der Krücke Äther fest, nachdem sie sich bereits als unnötig herausgestellt hatte. Da es der Wissenschaft gelungen war, zu beweisen, dass das Licht eine Wechselwirkung zwischen elektrischen und magnetischen Wellen ist, die sich gegenseitig erschaffen und aus eigener Kraft hochziehen, gab es keinen Grund mehr für ein Medium. Noch dramatischer brachte es Einstein auf den Punkt, als er vorschlug, man könne das Licht als winzige Teilchen betrachten, als Photonen, genau wie Newton spekuliert hatte, was ebenfalls keinen Äther mehr notwendig machte.
Der letzte Nagel im Sarg des Äthers war ein Versuch des ersten amerikanischen Physik-Nobelpreisträgers Albert Michelson. Mit seinem Kollegen Edward Morley wollte er herausfinden, wie der Äther von der Bewegung der Erde beeinflusst wurde. Aber auch nach wiederholten einfühlsamen Experimenten war kein Effekt feststellbar. Es war, als existierte der Äther überhaupt nicht, was heutzutage die meisten Physiker für selbstverständlich erachten.
Denken Sie also an die Geschichte des Äthers, wenn wir uns jetzt zwei weiteren Flicken zuwenden, die nötig wurden, damit die Urknalltheorie plus Inflation überhaupt funktioniert. Die Flicken haben die exotischen und gefährlich klingenden Namen Dunkle Materie und Dunkle Energie. Manche Forscher behaupten, die Parallele zum Äther sei nicht gerechtfertigt. In ihrem Buch
Origins
behaupten Neil deGrasse Tyson und Donald Goldsmith, dass der Äther eine völlig andere Angelegenheit war. «Während der Äther einem Platzhalter für unser unzureichendes Verständnis gleichkam, lässt sich die Existenz der Dunklen Materie nicht von einer bloßen Vermutung, sondern von den beobachteten Auswirkungen ihrer Gravitation auf sichtbare Materie ableiten.»
Bei allem Respekt vor Tyson und Goldsmith, aber ihre Behauptung ist falsch. Ihr Argument ist dem Status quo geschuldet. Ich bin mir sicher, dass Befürworter der Äthertheorie (was so ziemlich alle Physiker des 19 . Jahrhunderts einschließt) das Gleiche über die zuvor gescheiterte Phlogistontheorie gesagt haben, die davon ausging, dass bei einem Verbrennungsprozess eher etwas abgegeben (das unsichtbare, nicht feststellbare Phlogiston) statt absorbiert (Sauerstoff) wird. Die Dunkle Materie ist genau so ein Platzhalter wie der Äther. Die viktorianischen Wissenschaftler hätten gesagt, der Äther ließe sich von den beobachteten Eigenschaften des Lichts ableiten. Das heißt zwar nicht, dass die Dunkle Materie nicht existiert, aber wir sollten uns diesem Konzept gegenüber erhebliche Skepsis bewahren.
Die Entdeckung der Dunklen Materie
Die Dunkle Materie war das erste der beiden dunklen Phänomene, die den Wortschatz der Kosmologen bereicherten, als sie versuchten, ihr Modell des Universums aufrechtzuerhalten. Im 20 . Jahrhundert beobachteten einige Astronomen Ereignisse in Galaxien, die gegen die Newton’schen Gesetze und sogar gegen die von der allgemeinen Relativität eingebrachten Feinheiten zu verstoßen schienen. Die
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