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Vor der Flagge des Vaterlands

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Titel: Vor der Flagge des Vaterlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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französi-
    sche Erfinder herabgesunken ist, muß jeder Versuch, ihm
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    sein Geheimnis zu entlocken, erfolglos bleiben. Sein Zu-
    stand kann sich übrigens nur verschlimmern und zum vol-
    len Wahnsinn auch auf dem Gebiet ausarten, wofür ihm bis
    heute noch ein Fünkchen Verstand übriggeblieben ist.
    Alles in allem geht es in diesem Augenblick aber nicht
    um Thomas Roch, sondern um mich selbst, und da kann
    ich folgendes konstatieren:
    Nach einigem lebhaften Schwanken setzte das Boot sich,
    von Rudern getrieben, in Bewegung. Seine Fahrt dauerte
    kaum 1 Minute. Dann erfolgte ein schwacher Stoß. Jeden-
    falls hatte das Boot dann, nach dem Zusammentreffen mit
    einem Schiffsrumpf, beigelegt. Jetzt entstand eine geräusch-
    volle Bewegung. Ich hörte sprechen, kommandieren . . . das
    Boot manövrierte . . . Trotz meiner Binde vernahm ich doch
    ein undeutliches Gemurmel von Stimmen, das 5 bis 6 Mi-
    nuten andauern mochte.
    Der einzige Gedanke, der dabei in mir aufkommen
    konnte, war der, daß man mich aus dem Boot nach dem
    Schiff, zu dem es gehörte, befördern und bestimmt im La-
    deraum so lange einsperren würde, bis das betreffende
    Schiff sich auf offener See befand. Solange es noch auf dem
    Pamplico-Sund hinsegelte, würde es wohl niemand einfal-
    len, Thomas Roch und seinen Pfleger das Deck betreten zu
    lassen.
    Noch immer geknebelt, packte man mich an den Bei-
    nen und den Schultern. Ich hatte nicht die Empfindung, daß
    fremde Arme mich über die Schanzkleidung eines Schiffes
    hoben, sondern die, daß man mich herabließ. Wollte man

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    mich loslassen, mich ins Wasser stürzen, um sich von einem
    lästigen Zeugen zu befreien? . . . Dieser Gedanke schoß mir
    durch den Kopf und ein kalter Schauer durchrieselte mich
    von Kopf bis Fuß. Unwillkürlich tat ich einen tiefen Atem-
    zug und meine Brust erweiterte sich von der Luft, die ihr
    vielleicht bald fehlen sollte . . .
    Doch nein, man senkte mich mit einer gewissen Vor-
    sicht hinab auf einen Fußboden, der mir metallisch kühl
    erschien. Ich wurde lang hingelegt und zu meinem größten
    Erstaunen entledigte man mich meiner Fesseln. Dann hör-
    ten die Tritte um mich her auf und einen Augenblick dar-
    auf vernahm ich das sonore Geräusch einer zuschlagenden
    Tür . . . Hier bin ich also . . . Wo? . . . Und bin ich allein? . . .
    Ich entferne den Knebel von meinem Mund und die Binde
    von den Augen . . .
    Alles um mich ist schwarz . . . tiefschwarz. Nicht der ge-
    ringste helle Schein, nicht einmal jene unbestimmte Licht-
    empfindung, die sich das Auge sonst in gänzlich verfinster-
    ten Zimmern bewahrt.
    Ich rufe . . . rufe wiederholt . . . Keine Antwort. Meine
    Stimme wird erstickt, als wenn sie gegen ein für die Fort-
    pflanzung von Tönen ungeeignetes Mittel schallte.
    Dazu ist die Luft, die ich atme, warm, schwer, dick, und
    meine Lungentätigkeit wird erschwert, sogar unmöglich
    werden, wenn die Luft hier nicht erneuert wird.
    Durch das Ausstrecken der Arme überzeuge ich mich
    von folgendem:
    Ich befinde mich in einem Raum mit Eisenblechwänden,
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    der nicht mehr als 3 bis 4 Kubikmeter zu messen scheint.
    Beim Hingleiten mit den Händen über die Wand bemerke
    ich, daß sie wie die wasserdichten Scheidewände eines
    Schiffes mit Nietenköpfen bedeckt ist.
    An einer der Wände scheint mir der Rahmen einer Tür
    eingelassen zu sein, deren Scharniere die sonstige Fläche
    um einige Zentimeter überragen. Diese Tür muß sich von
    außen nach innen öffnen und durch sie hat man mich ohne
    Zweifel in dieses enge Behältnis gebracht.
    Das Ohr an die Tür drückend, vernehme ich keiner-
    lei Geräusch. Die Stille ist ebenso absolut wie die Finster-
    nis . . . eine seltsame Stille, die nur bei meinen Bewegungen
    durch den metallischen Klang des Fußbodens unterbro-
    chen wird. Da ist nichts von dem dumpfen Geräusch, das
    gewöhnlich an Bord von Schiffen herrscht, weder das Rau-
    schen des Wassers längs des Rumpfs, noch das Klatschen
    des Meeres, wenn die Wellen daran schlagen. Ebensowenig
    ist von Stampfen oder Rollen etwas zu bemerken, und das
    hätte doch nicht fehlen dürfen, denn im Becken der Neuze
    bringt die Flut stets eine bemerkbare schaukelnde Bewe-
    gung hervor.
    Nun fragt es sich freilich, ob der Raum, in dem ich mich
    befinde, überhaupt zu einem Schiff gehört und ob ich an-
    nehmen kann, daß es auf dem Wasser des Stroms schwimmt,
    obwohl ich durch ein Boot fortgeschafft wurde, dessen Fahrt
    nur 1 Minute

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