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Vor der Flagge des Vaterlands

Vor der Flagge des Vaterlands

Titel: Vor der Flagge des Vaterlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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ich, was auch kommen möge, wo-
    hin sie mich schleppen, wer auch die Leute sein mögen,
    die diesen Streich ausgeführt haben, bei dem Entschluß,
    meine Rolle als Pfleger weiterzuspielen. Niemand, nein,
    niemand wird ahnen, daß sich unter dem Rock Gaydons
    der Ingenieur Simon Hart verbirgt. Das bietet mir zweierlei
    Vorteile: erstens wird man einem armen Teufel von Kran-
    kenpfleger nicht mißtrauisch entgegentreten, und zweitens
    kann ich vielleicht das Geheimnis dieses ganzen Unterneh-
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    mens enträtseln und ausnutzen, wenn es mir einmal gelingt,
    zu fliehen . . .
    Doch wohin verirre ich mich? Ehe an eine Flucht zu
    denken ist, gilt es doch, erst am Ziel angelangt zu sein. Dann
    erst wird es Zeit sein, die Flucht zu wagen, wenn sich dazu
    Gelegenheit bietet. Bis dahin ist es wichtig, daß keiner er-
    fährt, wer ich bin, und das wird niemand erfahren.
    Jetzt unterliegt es keinem Zweifel mehr, daß wir in Fahrt
    sind. Dabei komme ich wieder auf meine ersten Gedan-
    ken. Nein! . . . Das Schiff, das uns trägt, kann, wenn es kein
    Dampfer ist, auch kein Segler sein. Es wird unbedingt durch
    einen mächtigen Motor angetrieben. Zugegeben, daß ich die
    eigentümlichen Geräusche einer Dampfmaschine, die eine
    Schraube oder ein Räderpaar in Bewegung setzt, nicht höre.
    Ich muß zugestehen, daß dieses Fahrzeug nicht durch das
    Hin- und Hergehen der Dampfkolben erschüttert wird. Es
    scheint sich vielmehr um eine fortlaufende, gleichmäßige
    Bewegung zu handeln, um eine Art direkte Rotation, die
    sich auf den Antriebsmechanismus, dieser sei nun, welcher
    es will, überträgt. Da ist kein Irrtum möglich, das Schiff
    wird durch einen eigenartigen Mechanismus bewegt. Doch
    durch welchen? . . .
    Sollte eine jener Turbinen in Frage kommen, von de-
    nen in letzter Zeit vielfach die Rede gewesen ist und die,
    im Innern eines eingetauchten Rohrs arbeitend, bestimmt
    erscheinen, an die Stelle der Schrauben zu treten, da sie den
    Widerstand des Wassers besser ausnützen und eine größere
    Geschwindigkeit erzielen? . . .
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    Nun, binnen einiger Stunden werd’ ich ja wissen, um wel-
    che Art von Navigation es sich handelt, die in einem voll-
    kommen homogenen Mittel vor sich geht.
    Übrigens ist es nicht weniger auffallend, daß auch von
    einem Rollen oder Stampfen des Fahrzeugs kaum etwas
    zu bemerken ist. Wie sollte es kommen, daß der Pamplico-
    Sund so außergewöhnlich still läge? Es genügt für ihn ja
    doch schon die Gezeitenströmung, um seine Oberfläche
    merklich zu erregen.
    Vielleicht ist jetzt aber gerade die Zeit zwischen Ebbe
    und Flut, und ich entsinne mich, daß sich der Landwind
    gestern abend vollkommen gelegt hatte. Immerhin! Die Sa-
    che erscheint mir unerklärlich, denn ein von irgendeiner
    Kraft bewegtes Schiff, seine Geschwindigkeit sei nun groß
    oder klein, muß immer ein gewisses Erzittern wahrnehmen
    lassen, und davon bemerke ich keine Spur.
    Von welch peinigenden Gedanken ist mir der Kopf jetzt
    erfüllt! Trotz des dringlichen Verlangens nach Schlaf, trotz
    der Erschlaffung, die sich meiner in dieser erstickenden
    Luft bemächtigt, bin ich entschlossen, dem Schlummer zu
    widerstehen. Ich werde bis zum Tagesanbruch wach blei-
    ben, und doch kann es für mich ja nicht Tag werden, ehe
    nicht Licht von außen in diesen Behälter dringt. Vielleicht
    genügt dazu noch gar nicht, daß sich die Tür öffnet, son-
    dern wird es nötig, daß man mich aus diesem Loch befreit,
    mich auf Deck bringt . . .
    Ich lehne mich in eine Ecke der Eisenwände, denn es fehlt
    mir sogar ein Stuhl, um mich setzen zu können. Da ich aber
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    in den Lidern bleierne Schwere fühle und mich eine wirk-
    liche Schlafsucht erfaßt, spring’ ich wieder auf. Jetzt packt
    mich der Zorn, ich schlage mit der Faust gegen die Wände,
    ich rufe . . . Vergeblich! . . . Meine Hände werden durch die
    Nietköpfe der Metallplatten verletzt und meine Rufe brin-
    gen niemand herbei.
    Nein, das ist meiner unwürdig! Ich habe mir gelobt, mich
    zu mäßigen, und jetzt, gleich zu Anfang, verliere ich schon
    alle Selbstbeherrschung und benehme mich wie ein Kind.
    Mit Sicherheit beweist das Fehlen jedes Rollens und
    Stampfens, daß das Fahrzeug die offene See noch nicht
    erreicht hat. Sollte es etwa, statt über den Pamplico-Sund
    zu steuern, gar die Neuze hinauffahren? Doch nein; wem
    könnte es in den Sinn kommen, sich ins Innere der Graf-
    schaft zu begeben? – Als Thomas Roch aus Healthful House
    entführt wurde,

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