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Vor der Flagge des Vaterlands

Vor der Flagge des Vaterlands

Titel: Vor der Flagge des Vaterlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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dauerte. Dieses Boot konnte ja, statt an einem
    Schiff, das es am Fuß von Healthful House erwartete, an ei-
    ner anderen Uferstelle wieder angelegt haben. Dann war es
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    ja möglich, daß ich auf der Erde, vielleicht in einer Höhle,
    niedergelegt worden wäre. Das erklärte doch die völlige Un-
    beweglichkeit des Behälters. Freilich hat dieser genietete Ei-
    senblechwände und um mich ist der unbestimmte Geruch
    von Salzwasser verbreitet, jener ganz eigenartige Geruch,
    den die Luft im Innern von Fahrzeugen annimmt und über
    den ich mich gar nicht täuschen konnte.
    Seit meiner Einsperrung ist nach meiner Schätzung
    eine Zeit von 4 Stunden vergangen. Es muß bald Mitter-
    nacht sein. Soll ich bis zum Morgen hier aushalten? Es ist
    ein Glück, daß ich nach der Anstaltsordnung von Health-
    ful House um 6 Uhr gegessen habe. Ich leide nicht unter
    Hunger, sondern neige eher dazu, einzuschlafen. Ich hoffe
    jedoch die Kraft zu haben, dem Schlaf zu widerstehen . . .
    nein, ich lasse mich nicht davon überwältigen. Ich muß
    mich wieder mit etwas von der Außenwelt beschäftigen.
    Womit aber? . . . Kein Ton, kein Lichtstrahl dringt in diesen
    Eisenkasten. Doch Achtung! So schwach es auch sein mag,
    vielleicht dringt mir doch ein Geräusch ans Ohr. Im Gehör-
    sinn drängt sich jetzt meine ganze Lebenskraft zusammen.
    Dazu achte ich auch immer – für den Fall, daß ich nicht auf
    festem Land bin – auf eine Bewegung, ein Erzittern, das ja
    nicht ausbleiben kann. Angenommen, das Schiff liegt noch
    vor Anker, dann muß es sich doch bald zur Abfahrt rüsten,
    sonst . . . sonst könnt’ ich nicht begreifen, warum Thomas
    Roch und ich entführt worden wären.
    Endlich! . . . Es ist also kein Irrtum, ich fühle ein leich-
    tes Wiegen und befinde mich also nicht auf dem Land. Ich
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    bemerke freilich keinen Stoß, keinen Ruck. Es ist eher ein
    sanftes Hingleiten über die Wasserfläche.
    Doch ich will in Ruhe nachdenken. Ich befinde mich an
    Bord eines der Fahrzeuge, die in der Mündung der Neuze
    vor Anker lagen, eines Fahrzeugs, das unter Dampf oder
    unter Segel das Ergebnis der Entführung abwartete. Das
    Boot hat mich dahin gebracht; doch, ich wiederhole es, ich
    habe nicht die Empfindung gehabt, daß man mich über eine
    Schanzkleidung emporhievte. Vielleicht bin ich durch eine
    Ladeluke in den Schiffsraum befördert worden. Das ist je-
    doch ohne Bedeutung. Ob man mich nun auf den Grund ei-
    nes Laderaums hinuntergeschafft hat oder nicht, jedenfalls
    befinde ich mich auf einem schwimmenden und beweg-
    lichen Apparat.
    Ohne Zweifel wird mir die Freiheit bald wiedergegeben,
    ebenso wie Thomas Roch, vorausgesetzt, daß er ebenso fest
    eingeschlossen ist wie ich. Unter Freiheit verstehe ich nur
    das Zugeständnis, auf dem Schiffsdeck nach Belieben um-
    hergehen zu dürfen. Das wird aber vor einigen Stunden
    nicht zu erwarten sein, da es doch darauf ankommt, daß wir
    nicht gesehen werden. Wir werden also freie Luft nicht eher
    atmen, als bis das Schiff aufs offene Meer hinausgelangt ist.
    Ist es ein Segelschiff, so wird es haben warten müssen,
    bis sich etwas Wind erhob, der Landwind, der mit Tagesan-
    bruch einsetzt und die Fahrt über den Pamplico-Sund be-
    günstigt. Wenn es freilich ein Dampfer wäre . . .
    Doch nein; an Bord eines Dampfers verbreiten sich stets
    gewisse Ausdünstungen von Steinkohle und Ölen, Gerüche
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    aus dem Feuerraum, die auch bis zu mir gedrungen wären.
    Übrigens hätte ich auch die Bewegungen der Schraube oder
    der Schaufelräder, das Zittern der Maschinen, das Stoßen
    der Dampfkolben fühlen müssen.
    Das Beste ist also, sich in Geduld zu fassen; ich komme
    doch erst morgen aus diesem Loch heraus. Doch wenn man
    mich auch noch nicht befreit, wird man mir doch Nahrung
    bringen, denn welchen Grund gäbe es dafür, mich hier ver-
    hungern zu lassen? Dann hätte man mich auf den Grund
    des Stroms versenken können, statt mich an Bord zu neh-
    men. Sind wir erst auf hoher See, hat ja niemand etwas von
    mir zu befürchten. Meine Stimme wird sich nirgends ver-
    nehmlich machen können; meine Proteste wären nutzlos
    und etwaige Vorwürfe noch nutzloser.
    Was bin ich ferner für die Urheber dieses Überfalls? Ein
    einfacher Krankenpfleger, jener bedeutungslose Gaydon.
    Nur Thomas Roch sollte aus Healthful House entführt wer-
    den. Ich . . . ich bin nur so nebenher mitgenommen worden,
    weil ich in jener Minute gerade zum Pavillon zurückkam.
    Auf jeden Fall bleibe

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