Vor der Flagge des Vaterlands
Healthful House entführt hat, dann geschah es
doch wohl in der Hoffnung, ihm sein Geheimnis zu entlo-
cken? . . .
Mein Gedankengang entspringt freilich der Annahme,
daß Thomas Roch mit mir verschwunden ist . . . Ist das
wirklich der Fall? . . . Ja, es ist so, es muß so sein! . . . Daran
kann ich gar nicht zweifeln. Ich befinde mich nicht in den
Händen von Verbrechern, die etwa nur hätten stehlen wol-
len. Das hätten sie nicht in solcher Weise angefangen. Nach-
dem sie es mir unmöglich gemacht, zu rufen, mich in eine
Ecke des Gartens unter dichtes Strauchwerk geworfen und
Thomas Roch selbst entführt hatten, würden sie mich nicht
da eingeschlossen haben, wo ich mich jetzt befinde . . .
Wo? . . . Das ist die offene Frage, die ich nun schon seit
mehreren Stunden nicht zu lösen vermag.
Doch wie dem auch sei, jedenfalls sehe ich mich hier in
ein Abenteuer verstrickt, dessen Ende . . . ja, welcher Art das
Ende sein wird, weiß ich nicht und wage es auch kaum, das
auszudenken. Auf jeden Fall hege ich die Absicht, von Mi-
nute zu Minute auch die geringsten Vorkommnisse meinem
Gedächtnis einzuprägen, meine tägliche Erfahrung womög-
lich schriftlich niederzulegen . . . Wer weiß denn, was mir
die Zukunft noch bringt und ob ich unter den neuen Ver-
hältnissen, in die man mich gezwungen hat, nicht schließ-
lich das Geheimnis des Fulgurator Roch kennenlerne? . . .
Wenn mir dereinst die Freiheit wieder winkt, wird dieses
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Geheimnis und werden auch der oder die Urheber dieses
verbrecherischen Überfalls bekannt sein, der so schwerwie-
gende Folgen haben kann.
In der Hoffnung, daß ein Zufall sie beantworten wird,
komme ich immer wieder auf die Frage zurück:
»Wo bin ich?«
Ich will mir das Vorgefallene von Anfang an vergegen-
wärtigen.
Nachdem ich von Männern auf den Armen aus Healthful
House weggetragen worden bin, fühlte ich, daß man mich –
übrigens mit einer gewissen Vorsicht – auf die Bänke eines
Fahrzeugs niederlegte, das sich dabei zur Seite neigte, also
nur klein gewesen sein kann . . . wahrscheinlich war es nur
ein Boot.
Auf die erste Schwankung folgte sofort eine zweite, die
ich der Einschiffung einer anderen Person zuschreibe. Ich
kann also gar nicht zweifeln, daß es sich dabei um Thomas
Roch handelte. Bei ihm konnte man von der Vorsicht abse-
hen, ihm den Mund zu verschließen, die Augen zu verbin-
den und seine Arme und Beine zu fesseln. Er mußte noch so
vollkommen erschlafft sein, daß er keinen Widerstand leis-
ten konnte, und so bewußtlos, daß er gar nicht merkte, was
mit ihm vorging. Den Beweis, daß ich mich nicht täuschte,
liefert mir ein charakteristischer Geruch nach Äther, den
ich auch unter meiner Binde wahrnahm. Ehe ich den Pavil-
lon Nr. 17 verließ, hatte der Arzt aber dem Kranken einige
Tropfen Äther eingeflößt, und ich erinnere mich bestimmt,
daß von der sich so leicht verflüchtigenden Flüssigkeit et-
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was auf seine Kleidung verschüttet worden war, als er sich
auf dem Höhepunkt seines Anfalls heftig hin und her warf.
Es ist also gar nicht zu verwundern, daß davon noch et-
was an ihm haftete und mein Geruchssinn dadurch erregt
wurde. Ja, ja . . . Thomas Roch lag da neben mir ausgestreckt.
Und wenn ich vorher nur wenige Minuten gezögert hätte,
nach dem Pavillon zurückzukehren, würde ich ihn darin
gar nicht mehr gefunden haben.
Ich denke noch daran . . . warum mußte jener Graf
d’Artigas die unglückselige Laune haben, Healthful House
zu besuchen? Wäre mein Pflegebefohlener ihm nicht in den
Weg geführt worden, wäre das alles nicht passiert. Nur daß
man mit ihm von seinen Erfindungen sprach, hat bei Tho-
mas Roch diesen außergewöhnlich heftigen Anfall hervor-
gebracht. Der erste Vorwurf dafür trifft den Direktor, der
meine Warnung nicht beachtete. Hätte er auf mich gehört,
hätte auch kein Arzt gerufen zu werden brauchen, um dem
Patienten seine Hilfe angedeihen zu lassen. Die Tür wäre
verschlossen geblieben und der Anschlag vereitelt gewe-
sen . . .
Was das Interesse angeht, das die Entführung Thomas
Rochs zugunsten einer Privatperson oder eines der Staaten
der Alten Welt haben könnte, so brauch’ ich mir darüber
den Kopf nicht zu zerbrechen. Ich glaube, in dieser Bezie-
hung ganz beruhigt sein zu können. Niemand würde da Er-
folg haben, wo ich seit 15 Monaten nichts erreicht habe. Bei
der Stufe geistiger Umnachtung, zu welcher der
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