Vor der Flagge des Vaterlands
von
Negerrasse, und vielleicht versteht er meine Sprache über-
haupt nicht.
Die Tür wird geschlossen; ich esse mit Appetit und ver-
schiebe auf spätere Zeit alle Fragen, auf die man mich doch
nicht immerfort ohne Antwort lassen konnte.
Wiederum bin ich Gefangener, diesmal jedoch unter
weit angenehmeren Verhältnissen, die sich, wie ich anneh-
men darf, bis zum Eintreffen an unserem Bestimmungsort
schwerlich ändern werden.
Damit überlaß’ ich mich wieder meinen Grübeleien.
Mein erster Gedanke ist: Graf d’Artigas war es, der diese
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Entführungsgeschichte angezettelt hat, er ist der Urheber
der Entführung Thomas Rochs, und ohne Zweifel ist der
französische Erfinder in einer nicht weniger bequemen Ka-
bine an Bord der ›Ebba‹ untergebracht.
Doch wer ist eigentlich jene Persönlichkeit? . . . Woher
kommt der Fremdling? Wenn er sich Thomas Rochs be-
mächtigt hat, so will er sich doch, koste es, was es wolle, in
den Besitz des Geheimnisses des Fulgurators bringen. Ei-
nen andern Grund konnte er zu dem Gewaltakt nicht ha-
ben. Ich muß mich also hüten, nicht zu verraten, wer ich
bin, denn jede Aussicht auf Wiedererlangung meiner Frei-
heit würde schwinden, wenn man über meine Person die
Wahrheit erführe.
Da gibt es Geheimnisse zu erforschen, Unerklärliches
zu klären . . . Die persönlichen Verhältnisse dieses Grafen
d’Artigas, seine Absichten für die Zukunft, die Richtung,
der seine Goélette folgt, ihren Heimathafen, und auch diese
Fortbewegung ohne Segel oder Schraube und mit einer
Geschwindigkeit von mindestens 10 (See-)Meilen in der
Stunde zu ergründen . . .
Endlich, am Abend, dringt ein recht kühler Luftstrom
durch die Lichtluke der Kabine. Ich schließe sie mit der
Flügelschraube, und da meine Tür von außen verriegelt ist,
scheint es mir das beste, mich auf das Lager zu strecken und
bei den sanften Bewegungen dieser merkwürdigen ›Ebba‹
angesichts des Atlantischen Ozeans einzuschlummern.
Am nächsten Morgen steh’ ich früh auf, mache schnell
Toilette, kleide mich an und warte.
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Da fällt mir zuerst ein, nachzusehen, ob die Tür jetzt
auch noch verschlossen ist.
Nein, das ist nicht der Fall; ich stoße sie auf, klettere die
eiserne Leiter wieder hinauf und befinde mich auf Deck.
Auf dem Heck sind die Matrosen noch mit dem Scheu-
ern beschäftigt, und zwei Männer – einer davon ist der Ka-
pitän – unterhalten sich miteinander. Der Kapitän erscheint
nicht überrascht, mich zu sehen, und macht den andern
durch ein Zeichen auf mich aufmerksam.
Dieser Zweite, den ich bisher noch nicht gesehen habe,
war ein Mann von etwa 50 Jahren, mit schwarzem, doch
mit einzelnen Silberfäden vermischtem Haar und Bart, von
schlanker Gestalt, lebhaftem Blick und intelligentem Ge-
sichtsausdruck. Er nähert sich dem hellenischen Typus, und
ich konnte an seiner griechischen Abstammung nicht län-
ger zweifeln, als ich ihn Serkö nennen hörte – Ingenieur
Serkö, wie der Kapitän der ›Ebba‹ sagte.
Der letztere heißt Spade – Kapitän Spade – und die-
ser Name läßt an italienischen Ursprung denken. Also ein
Grieche, ein Italiener und eine Mannschaft, die aus allen
Winkeln der Erde hergeholt ist, eingeschifft auf einer Goé-
lette mit norwegischem Namen – das alles zusammen muß
doch sicher berechtigten Verdacht erregen.
Und Graf d’Artigas mit dem spanischen Namen und
dem asiatischen Typus . . . woher stammt der? . . .
Kapitän Spade und Ingenieur Serkö sprechen mit ge-
dämpfter Stimme. Der erstere beobachtet scharf den Mann
am Steuer, der sich um die Angaben des Kompasses, der vor
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seinen Augen in dem gewöhnlichen ›Häuschen‹ steht, nicht
besonders zu kümmern scheint. Er folgt offenbar mehr den
Zeichen, die ihm ein Matrose auf dem Vorderdeck gibt und
auf die hin er mehr nach Steuerbord oder nach Backbord
beidreht.
Thomas Roch ist auch da, neben der kleinen Mann-
schaftswohnung auf dem Verdeck. Er blickt hinaus auf das
grenzenlose, verlassene Meer, das am Horizont von keiner
Landlinie abgeschlossen wird. Doch konnte man denn bei
dem Wahnsinnigen nicht auf alles gefaßt sein, sogar, daß er
sich plötzlich über Bord stürzte? . . .
Ich weiß nicht, ob es mir gestattet sein wird, mit meinem
früheren Pflegebefohlenen aus Healthful House zu verkeh-
ren.Während ich auf ihn zugehe, beobachten mich Kapitän
Spade und Ingenieur Serkö, lassen mich aber gewähren.
Ich
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