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Vor der Flagge des Vaterlands

Vor der Flagge des Vaterlands

Titel: Vor der Flagge des Vaterlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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. . Ich versuchte mich zu wehren. Da hielten
    sie mich nur noch fester . . . Ich richtete eine Frage an sie,
    erhielt aber keine Antwort. Die Leute wechselten nur unter
    sich ein paar Worte, doch in einer Sprache, die ich nicht ver-
    stand und deren Herkunft ich nicht erraten konnte.
    Offenbar machte man mit mir wenig Umstände. Freilich,
    wegen eines Narrenwärters . . . warum sollte man sich we-
    gen einer so unbedeutenden Persönlichkeit genieren? Ich
    weiß allerdings nicht, ob sich der Ingenieur Simon Hart ei-
    ner besseren Behandlung zu erfreuen gehabt hätte.
    Diesmal wurde mir der Mund jedoch nicht verschlos-
    sen, und auch Arme und Beine blieben ungefesselt. Man be-
    — 101 —
    gnügte sich damit, mich ordentlich festzuhalten, und flie-
    hen konnte ich hier ja doch nicht.
    Gleich nachher werd’ ich aus dem Behälter herausge-
    schleppt und durch einen sehr engen Gang gestoßen. Dann
    ertönen unter meinen Füßen die Stufen einer Metalltreppe.
    Endlich schlägt mir frische Luft ins Gesicht und ich atme
    voll Begierde . . . Hierauf hebt man mich empor und setzt
    mich auf einem Fußboden nieder, der diesmal nicht aus
    Eisenplatten bestand und wohl das Verdeck eines Schiffes
    sein mußte.
    Endlich lassen die Arme, die mich hielten, los. Ich bin
    nun Herr meiner Bewegungen. Ich reiße das Stück Stoff, das
    mir den Kopf verhüllt, herab und sehe mich um . . .
    Ich bin an Bord einer Goélette in voller Fahrt, die einen
    langen Streifen weißen Kielwassers hinter sich läßt.
    Ich mußte eine der Wanten ergreifen, um nicht zu strau-
    cheln, so sehr blendete mich das helle Tageslicht nach der
    48stündigen Einsperrung in völliger Finsternis.
    Auf Deck bewegen sich etwa zehn Leute von ziemlich
    grob zugeschnittenem Aussehen hin und her. Alle sind sich
    sehr unähnlich und ich könnte nicht sagen, welcher Nati-
    onalität sie angehörten. Übrigens beachten sie mich über-
    haupt nicht.
    Was die Goélette angeht, dürfte sie, nach meiner Schät-
    zung, 250 bis 300 Tonnen groß sein. Ziemlich breit gebaut,
    hat sie recht starke Masten und die große Segelfläche muß
    ihr bei günstigem Wind eine recht erhebliche Geschwindig-
    keit verleihen.
    — 102 —
    Am Heck steht ein Mann mit sonnenverbranntem Ge-
    sicht, die Hände an den Griffen des Steuerrads, und hält die
    Goélette auf dem richtigen Kurs.
    Ich hätte gern den Namen des Fahrzeugs gelesen, das
    das Aussehen einer Vergnügungsyacht hatte; ich wußte nur
    nicht, ob dieser neben am Bug oder am Heck angeschrie-
    ben war.
    So trete ich an einen der Matrosen heran.
    »Welches Schiff ist das?« frag’ ich ihn.
    Keine Antwort; ich muß wohl annehmen, daß der Mann
    mich gar nicht verstanden hat.
    »Wo ist der Kapitän?« fügte ich hinzu.
    Der Matrose gibt auf diese Frage ebensowenig Antwort,
    wie auf die frühere.
    Ich begebe mich nun nach dem Bug der Goélette.
    Hier hängt über dem Gestell der Winde eine Glocke.
    Vielleicht ist in deren Metall ein Name, der Name der Goé-
    lette, eingraviert.
    Nichts dergleichen.
    Ich kehre nach dem Heck zurück und wende mich mit
    einer erneuten Frage an den Mann am Steuerrad.
    Dieser wirft mir einen wenig ermunternden Blick zu,
    zuckt nur die Achseln und stützt sich fester auf das Rad, um
    die Goélette, die stark abgewichen war, in ihre Richtung zu-
    rückzuführen.
    Da fällt mir ein, Umschau zu halten, ob Thomas Roch
    hier ist . . . Ich sehe ihn nicht . . . Sollte er sich gar nicht an
    Bord befinden? . . . Das wäre unerklärlich. Warum sollte
    — 103 —
    man aus Healthful House nur den Pfleger Gaydon entführt
    haben? . . . Kein Mensch dort hat ja vermuten können, daß
    ich der Ingenieur Simon Hart bin, und auch wenn man das
    gewußt hätte, welches Interesse hätte jemand daran ha-
    ben können, sich meiner Person zu bemächtigen, und was
    könnte man von mir erwarten? . . .
    Da Thomas Roch also nicht auf Deck ist, vermute ich, er
    ist in einer der Kabinen des Schiffes eingeschlossen. Wenn
    man ihn nur wenigstens rücksichtsvoller behandelt hat, als
    seinen früheren Pfleger!
    Doch halt mal – daß mir das nicht eher aufgefallen ist! –
    Wie kommt denn diese Goélette eigentlich vorwärts? Die
    Segel sind eingezogen, kein Zoll Leinwand ist draußen . . .
    der Wind hat sich gelegt . . . vereinzelte Luftstöße, die von
    Osten her kommen, sind ihr geradezu hinderlich, da wir in
    dieser Richtung steuern. Und doch gleitet die Goélette, de-
    ren Bug sich leicht hebt und senkt, schnell dahin, so daß
    der durch das

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