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Vor der Flagge des Vaterlands

Vor der Flagge des Vaterlands

Titel: Vor der Flagge des Vaterlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Gefäß, das mit einer Flüssigkeit gefüllt ist, die recht an-
    genehm duftet. Ich setze es an meine brennenden Lippen,
    denn mich quält der Durst so entsetzlich, daß ich mich
    auch mit Brackwasser begnügt hätte . . .
    Oh, das ist Ale, eine vortreffliche Sorte Ale, die mich er-
    frischt, wieder kräftigt und wovon ich eine ganze Pinte he-
    runterstürze . . .
    Bin ich aber nicht verurteilt, vor Durst umzukommen,
    so wird man mich doch wohl auch nicht dem Hungertod
    preisgeben wollen.
    Nein . . . hier in einer Ecke steht ein Korb und der enthält
    ein Brot und ein Stück kaltes Fleisch.
    Ich esse . . . esse begierig . . . und allmählich kommen mir
    die Kräfte wieder.
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    Ich bin also doch nicht so verlassen und vernachlässigt,
    wie ich gefürchtet hatte. Irgend jemand ist in dieses finstre
    Loch eingetreten und durch die Tür ist etwas von dem Sau-
    erstoff der Außenluft eingedrungen, ohne den ich erstickt
    wäre. Ferner hat man mir etwas gebracht, um meinen Durst
    und Hunger bis zu der Stunde zu befriedigen, wo ich von
    hier herausgelassen werde.
    Wie lange soll diese Einschließung aber noch dauern? . . .
    Stunden? . . . Tage? . . .
    Es ist mir unmöglich, die Zeit zu berechnen, die seit mei-
    nem Einschlummern vergangen ist, noch kann ich mit ei-
    niger Genauigkeit angeben, wieviel Uhr es jetzt sein mag.
    Meine Uhr hatt’ ich inzwischen zwar aufgezogen, sie hat
    aber kein Repetierwerk . . . Vielleicht, indem ich nach den
    Zeigern taste? . . . Richtig . . . Der kleine Zeiger scheint auf
    der 8 zu stehen . . . bestimmt am Morgen . . .
    Sicher bin ich mir nur über das eine, daß das Schiff sich
    nicht mehr fortbewegt. An Bord fühlt man nicht mehr die
    leiseste Erschütterung . . . ein Beweis, daß die Maschine aus
    ist. Inzwischen vergehen die Stunden . . . endlose Stunden,
    und ich frage mich, ob nicht die Nacht herankommen wird,
    ehe jemand aufs neue meinen Kerker betritt, um ihn so,
    wie während meines Schlafs zu lüften, mir Essen zu brin-
    gen . . . Ja, ja, man wird das tun wollen, während ich wie-
    der schlafe . . . Diesmal bin ich aber fest entschlossen, mich
    nicht übermannen zu lassen . . . Ja, ich werde mich stellen,
    als ob ich schliefe . . . und wer dann auch hier hereintreten
    möge . . . ich werde ihn zu einer Antwort zu zwingen wissen!
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    6. KAPITEL
    Auf Deck
    Da bin ich endlich an der freien Luft, die ich mit Wollust
    einsauge! Man hat mich aus dem erstickenden Kasten be-
    freit und auf das Deck des Fahrzeugs gebracht. Als ich sofort
    den Horizont mit dem Blick musterte, konnte ich nirgends
    mehr Land sehen . . . Nichts als die Kreislinie, die Meer und
    Himmel verbindet.
    Nein . . . vom Festland im Westen ist keine Spur mehr
    wahrzunehmen, nichts von der Küste, wo das Uferland
    Nordamerikas sich auf Tausende von Seemeilen ausdehnt!
    Augenblicklich ist die Sonne übrigens im Sinken und
    sendet nur noch schräge Strahlen auf den unermeßlichen
    Ozean. Es muß gegen 6 Uhr abends sein. Ich sehe nach mei-
    ner Uhr . . . richtig, 6 Uhr 13.
    In der Nacht zum 17. Juni ist nun folgendes vorgegan-
    gen:Ich wartete, wie gesagt, darauf, daß die Tür meines Be-
    hälters sich öffnete und war fest entschlossen, nicht wieder
    in Schlaf zu fallen. Ich zweifelte nicht, daß es damals schon
    wieder Tag wäre, doch verging die Zeit weiter, ohne daß je-
    mand kam. Von dem mir zur Verfügung gestellten Essen
    war kaum noch etwas übrig, und ich begann an Hunger zu
    leiden, wenn auch nicht an Durst, denn ich hatte noch etwas
    Ale übrig gelassen.
    Seit meinem Erwachen bewies mir das leise Zittern des
    Rumpfs, daß sich das Schiff wieder in Bewegung befand,
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    nachdem es seit dem Abend vorher – wahrscheinlich in ei-
    ner einsamen Bucht am Ufer – still gelegen haben mochte,
    denn ich hatte nichts von den Stößen bemerkt, ohne die es
    beim Vorankerlegen nicht abgeht.
    Es war also um 6 Uhr, als hinter der Metallwand des
    Behälters Schritte hörbar wurden. Wollte jemand eintre-
    ten? . . . Ja. Das Schloß knarrte und knirschte, und die Tür
    ging auf. Der Schein einer Schiffslaterne verdrängte die
    Finsternis, in der ich seit meiner Überführung an Bord ge-
    schmachtet habe.
    Zwei Männer erschienen, die ich näher zu betrachten
    keine Muße fand. Die beiden Männer packten mich an den
    Armen und verhüllten mir den Kopf mit einem Stück dich-
    ten Stoffs, so daß ich nicht das geringste sehen konnte.
    Was bedeutete diese Vorsicht? . . . Was wollte man mit
    mir anfangen? .

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