Vor der Flagge des Vaterlands
kommenden Blick, der
einem Wurfspieß ähnlich aus unbeweglicher Pupille her-
vorschießt, bei seinem hohen Wuchs, den eckigen Schul-
tern und seiner ausgesprochen muskulösen Gestalt, die auf
große Körperkräfte schließen läßt, wäre es nicht unmög-
lich, daß Graf d’Artigas einer jener Rassen des äußersten
Ostens angehörte.
Mir gilt der Name d’Artigas nur als ein angenommener,
und mit dem Titel eines Grafen wird es nicht anders sein.
Wenn seine Goélette einen norwegischen Namen führt,
so ist er doch nicht unbedingt von skandinavischer Ab-
stammung. Er hat von den Leuten aus dem Norden Euro-
pas nichts an sich, weder ihren ruhigen Gesichtsausdruck
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und ihr blondes Haar noch den sanften Blick, der aus ihren
mattblauen Augen leuchtet.
Doch wer er auch sein mag, dieser Mann hat Thomas
Roch – und mich mit – entführen lassen, und er kann dabei
nur in verbrecherischer Absicht gehandelt haben.
Hat er aber nun zugunsten einer fremden Macht oder
nur im eigenen Interesse gehandelt? . . . Hat er allein aus der
Erfindung Thomas Rochs Nutzen ziehen wollen? . . . Das ist
eine dritte Frage, auf die ich noch nicht zu antworten ver-
mag. Doch wer weiß, ob ich diese, nach allem, was ich in der
Folge sehen und hören werde, nicht zu lösen imstande bin,
ehe ich fliehen kann, vorausgesetzt, daß mir eine Flucht je
möglich wird . . .
Die ›Ebba‹ setzt in der uns bekannten unerklärlichen
Weise ihre Fahrt weiter fort. Ich kann ungehindert auf Deck
umhergehen, ohne aber jemals nach den Mannschaftsräu-
men eindringen zu dürfen, deren Treppenkappe vor dem
Fockmast aufragt.
Zwei- oder dreimal wollte ich zwar bis zum Lager des
Bugsprits vordringen, von wo aus ich, mich vorbeugend,
den Vordersteven der Goélette hätte die Wogen zerteilen
sehen können. Offenbar auf erhaltenen Befehl widersetzten
sich die Matrosen der Wache aber jedesmal meinem Vorha-
ben, und einer davon sagte mir in heftigem Ton und rau-
hem Englisch:
»Zurück! . . . Zurück! . . . Sie sind hier im Weg!«
Im Weg? . . . Inwiefern denn? . . . Ich sehe doch niemand
irgendwie beschäftigt.
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Sollte man durchschaut haben, daß mir daran lag, zu er-
kennen, in welcher Weise die Goélette ihren Antrieb erhält?
. . . Das wäre möglich, und Kapitän Spade, der Zeuge jenes
Zwischenfalls war, hat wohl erraten müssen, daß ich mir über
diese Art der Navigation klarzuwerden versuchte. Selbst der
einfachste Krankenhauspfleger hätte ja erstaunt sein müs-
sen, daß ein Fahrzeug ohne Segel und ohne Schraube eine
solche Geschwindigkeit entwickelte. Kurz, aus dem einen
oder anderen Grund wurde mir das Betreten des vorders-
ten Teils der ›Ebba‹ verwehrt.
Gegen 10 Uhr kommt etwas Wind auf, eine recht güns-
tige Brise aus Nordwest, und Kapitän Spade erteilt dem
Obersteuermann Effrondat seine Anordnungen.
Dieser läßt unverzüglich das Gaffelsegel und die Fock-
und Klüversegel beisetzen. Auch auf einem Kriegsschiff
wäre dieses Manöver nicht regelgerechter und unter besse-
rer Diziplin ausgeführt worden.
Die ›Ebba‹ neigt sich ein wenig über Steuerbord, und
ihre Geschwindigkeit nimmt weiter zu. Der Motor arbeitet
indessen weiter, denn die Segel spannen sich nicht so prall,
wie es hätte der Fall sein müssen, wenn die Goélette von ih-
nen allein fortgetrieben worden wäre. Immerhin nützen sie
merklich bei der Brise, die jetzt noch mehr aufgefrischt ist.
Der Himmel sieht schön aus; aus West heranziehende
Wolken zerstreuen sich, sobald sie höher nach dem Zenit
emporsteigen, und das Meer erglänzt vom Widerschein der
Sonnenstrahlen.
Mich verlangt es nun, so genau wie möglich den Kurs zu
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verfolgen, den wir einhalten. Ich bin genug auf dem Meer
gefahren, um die Geschwindigkeit eines Schiffes abschätzen
zu können, und meiner Ansicht nach liegt die der ›Ebba‹
jetzt zwischen 11 und 12 Seemeilen. Die Richtung bleibt
immer dieselbe, davon kann ich mich leicht überzeugen,
indem ich näher an das Kompaßhäuschen vor dem Mann
am Steuer herantrete. Wenn der Bug der ›Ebba‹ dem Pfle-
ger Gaydon versperrt bleibt, so ist das doch mit dem Heck
nicht der Fall. Sehr häufig habe ich einen flüchtigen Blick
auf die Scheibe der Boussole werfen können, die unabän-
derlich nach Osten oder genauer nach Ostsüdost weist.
Unter solchen Bedingungen segeln wir also über diesen
Teil des Atlantischen Ozeans, der nach Westen hin von der
Küste der
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