Vor Jahr und Tag
konzentrierte sich wieder aufs Telefon. »Hören Sie, könnten Sie die Sache irgendwie beschleunigen? Die Temperatur des Patienten steigt immer noch. Könnte sich um ’ne Staphylokokkeninfektion handeln. Danke. Ich ruf zurück.« Sie hängte auf und sagte zu Karen: »Sie haben versprochen, den Befund in fünfzehn Minuten durchzugeben.«
»Nun ja, da die gewöhnlich doppelt so lange brauchen, wie sie versprechen, könnte es vielleicht gerade noch langen, aber nur, wenn sich Dr. Pierini ein bißchen verspätet.« Karen blickte den Gang hinauf, als ein Arzt erschien, stirnrunzelnd über ein Clipboard gebeugt. Der Verschwindungskünstler Dr. Dailey mit einem Ausdruck, als hätte er die ganze Nacht hart gearbeitet. »Welche Marke waren diese Gummibärchen?«
»Karen, Schätzchen, das laß lieber bleiben«, warnte Judy.
»O nein, nicht für mich. Ich hab dabei an Dr. Dailey gedacht, nur aus therapeutischen Gründen selbstverständlich.«
»Selbstverständlich«, bestätigten die übrigen mit lächelnden Gesichtern, denn laut einstimmiger Meinung der Schwesternschaft auf der Chirurgischen war Dr. Dailey ein Prachtexemplar von einem Unmenschen.
Karens erster Blick nach dem Betreten ihres Apartments galt dem Anrufbeantworter. Das kleine rote Lämpchen blinkte nicht. Nun, wieso sollte es auch, schalt sie sich. Marc wußte, daß sie Nachtschicht hatte. Wenn er sie zuvor nicht angerufen hatte, würde er’s wohl kaum mitten in der Nacht versuchen.
Seufzend sperrte sie die Tür zu und machte sich auf den Weg zur Dusche. Er hatte sowieso keinen Grund, sie anzurufen, außer um sie noch mehr anzubrüllen. Es war vorbei. Bevor es überhaupt richtig angefangen hatte. Nichts war über ein Wiedersehen gesagt worden, es gab nur diesen einmaligen Gang, der geradewegs in sein Bett geführt hatte. Er hatte sein Ziel erreicht, und jetzt mußte sie loslassen, mußte aufhören, sich über die Situation den Kopf zu zerbrechen. Es ist vorbei, endgültig vorbei, hämmerte sie sich ein.
Aber es fühlte sich nicht so an. Marc hatte ihr eine völlig neue Sichtweise ihrer selbst eröffnet. Unter der Dusche stehend, nahm sie ihren Körper auf vollkommen neue Weise wahr, irgendwie - sinnlich. Ja, sie war eine Frau, aber so wie in diesem Moment war sie sich dieser Tatsache noch nie bewußt gewesen. Ihre Brustwarzen versteiften sich unter dem herunterrieselnden Duschstrahl, und sie mußte daran denken, wie es sich angefühlt hatte, als Marc sie in den Mund nahm. Wie sich seine harten, schwieligen Hände um ihre Hüfte legten, sie mühelos anhoben und umdrehten und in eine Stellung brachten, die ihrer beider größtmöglichen Lust diente. Ihr Bauch krampfte sich zusammen vor Erregung, und sie konnte ihn beinahe in sich fühlen, seine heftigen Stöße, mit denen er sich in sie hineinrammte.
Wow. Sie stieß geräuschvoll den Atem aus. Jede Frau sollte einmal im Leben einen Liebhaber wie ihn haben.
Aber sie wollte nicht einmal, sie wollte ihn immer wieder, jede Nacht, für den Rest ihres Lebens.
Die Frage war, was konnte sie machen. Es war die Hölle, nicht zu wissen, wo man stand. Sie hatte Zweifel in bezug auf seine Motive, seine Gefühle, ja die ganze Nacht. Das einzige, was nicht in Zweifel stand, waren ihre Gefühle, und ihrer Erfahrung nach waren Gefühle alles andere als eine solide Basis für wichtige Entscheidungen.
Ihre Erfahrung - hah! Ihre Erfahrung, was Männergeschichten betraf, war gleich Null. Bis auf Marc hatte sie noch nie einen Mann geliebt.
Das Wasser war immer weniger warm geworden, doch auf einmal kam es eiskalt aus dem Duschkopf. Mit einem unterdrückten Schrei sprang Karen aus dem Bereich des Wasserstrahls. Sie wußte nicht, wie lange sie dort gestanden und von Marc geträumt hatte, aber es hatte gereicht, um den Vorrat an heißem Wasser aufzubrauchen. Hastig drehte sie den Hahn zu und wickelte sich dann in ein Badetuch. Zitternd beeilte sie sich mit dem Abtrocknen und schlüpfte dann in einen Bademantel.
Die unbeabsichtigt kalte Dusche hatte ihre Schläfrigkeit verscheucht, was gut war; sie verkraftete die Nachtschicht besser, wenn sie ein paar Stunden wartete, bevor sie sich hinlegte. Sie konnte sich die Morgennachrichten ansehen, die liegengebliebene Post durchschauen, Rechnungen bezahlen, all die alltäglichen Dinge eben. Und sie konnte sich, bloß so zum Spaß, die Zehennägel schockrot lackieren, statt immer nur mit dem langweiligen Rosa, das sie sonst benutzte.
Carl Clancy hatte keine Eile. Diesmal war er mit
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