Vor Jahr und Tag
seinen Nachforschungen weiter gegangen als nur bis zum Telefonbuch. Teufel noch mal, woher hätte er wissen sollen, daß die Whitlaw ihr Haus verkauft hatte, die neuen Telefonbücher mit der korrigierten Adresse aber nicht vor Dezember erscheinen würden? Aber er hatte ihren derzeitigen Wohnsitz herausgekriegt, ja sogar, daß sie Krankenschwester war und in einem der städtischen Krankenhäuser arbeitete.
Die Frage lautete, war sie daheim oder nicht? In Krankenhäusern wurde rund um die Uhr Dienst geschoben, aber es war ihm nicht gelungen herauszufinden, in welcher Schicht sie arbeitete, nicht, ohne zuviel Aufmerksamkeit auf seine Person zu lenken. Die Leute erinnerten sich gewöhnlich an jemanden, der sich nach einer ganz bestimmten Person erkundigte.
Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Halb neun. Falls sie die erste Schicht Dienst hatte, war sie jetzt im Krankenhaus. Bei der zweiten würde sie wohl gerade aufstehen, wenn sie Nachtschicht gehabt hatte, würde sie jetzt ins Bett gehen.
Er rief im Krankenhaus an und fragte nach ihr. Er wußte nicht genug über sie, wußte nicht, auf welcher Station sie arbeitete, aber es war sowieso egal. Die Schlampe am Telefon meinte in eisigem Ton, daß das Krankenhauspersonal während des Dienstes keine Privatanrufe entgegennehmen dürfe, außer wenn es sich um einen Notfall handelte. Das war Unsinn. Jede Station hatte ihre eigene Nummer, und die Schwestern telefonierten die ganze Zeit privat. Aber da er keinen Ärger machen wollte, entschuldigte er sich und legte auf. Mist, da war nichts zu machen.
Als nächstes rief er bei ihr an. Nach dem Fiasko mit dem falschen Haus hatte er bei der Auskunft angerufen und herausgefunden, daß die alte Telefonnummer noch immer die richtige war. Da sie innerhalb desselben Distrikts umgezogen war, hatte sie die Nummer behalten können. Es konnte sein, daß sie das Telefon abgestellt hatte, um nicht beim Schlafen gestört zu werden, aber dieses Risiko mußte er eingehen.
Er ließ es mehrmals klingeln.
Karens Kopf schoß hoch, als das Telefon läutete. Ihr Herz machte einen Satz, und sie wollte schon nach dem Hörer greifen, da fiel ihr ein, daß Marc ja wußte, daß sie in der Nachtschicht arbeitete. Er würde wohl kaum um diese Zeit anrufen, oder? Vielleicht doch, vielleicht dachte er ja, das wäre eine gute Zeit, um sie zu Hause zu erwischen, und früh genug, daß sie noch nicht zu Bett gegangen war.
Sie zögerte so lange, daß sich der Anrufbeantworter einschaltete. Der Anrufer hängte beinahe sofort wieder auf, und der Apparat schaltete sich ab. Also doch nicht Marc. Er hätte draufgesprochen. Die Enttäuschung war bitter, aber sie schüttelte sie mit einem Schulterzucken ab. Nein, sie würde nicht ihr Leben damit zubringen, auf einen Anruf von ihm zu warten. Wenn er bis morgen nicht angerufen hatte, würde sie ihn anrufen. Mit ihrer kopflosen Flucht hatte sie sich selbst in diese dumme Lage gebracht, nicht zu wissen, woran sie war, ob es sich nur um einen One-Night-Stand handelte oder ob mehr zwischen ihnen war. Es war ihre Schuld, also sollte sie ruhig auch den ersten Schritt tun.
Es war nicht einfach heutzutage, mit dem ganzen Beziehungskram, vorausgesetzt, sie hatten überhaupt eine Beziehung. Früher war alles viel einfacher gewesen. Der Mann hatte sich erklärt, und die Frau hatte sich entweder auf sein Werben eingelassen oder nicht. Das hätte ihr gefallen, es war so klar und einfach und kein Gefühlschaos. Die Frauenbewegung hatte zwar eine Menge bewirkt, was Karrieremöglichkeiten und Gleichheit in der Bezahlung betraf, aber die sozialen Rituale waren ihrer Ansicht nach zu einem einzigen Verwirrspiel verkommen.
Karen betrachtete ihre Zehen. Knallroter Lack besaß zweifelsohne eine interessante Wirkung. Eine Frau mit knallroten Zehennägeln würde nicht zögern, einen Mann anzurufen, wenn es sich um eine wichtige, ungeklärte Angelegenheit handelte. Heute abend, entschied sie. Jetzt gleich wollte sie ihn nicht anrufen, da sie sich möglicherweise aufregen und hinterher nicht mehr würde einschlafen können. Wenn er heute im Lauf des Tages nicht anrief, würde sie ihn heute abend anrufen. Und falls er ihr sagte, sie solle sich sonstwohin verziehen, wußte sie zumindest, woran sie war, und konnte anfangen, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen.
Carl Clancy seufzte. Okay, sie war also nicht rangegangen. Dann war sie entweder nicht zu Hause oder schlief. Wenn er noch einen Tag hätte, würde er alles herausfinden
Weitere Kostenlose Bücher