Vor meinen Augen
muslimisch, glaube ich, obwohl ich es nicht genau weiß, und Kalila ist auch Muslima, da bin ich sicher. Megan ist Christin, obwohl sie immer total unchristlich ist! Ich bin gar nichts, glaube ich, obwohl Mum ab und zu in die Kirche geht und ich auch ein paarmal dort war. Manchmal bin ich nicht sicher, ob ich überhaupt an Gott glaube. Rosa-Leigh sagt, sie wird eines Tages Buddhistin werden. Am Ende sind wir alle einfach nur Menschen.
Gerade als ich die Hausnummer 18 der Bowood Road erreicht hatte, brachte ein Mädchen, das ein paar Jahre älter war als ich, den Müll raus. Sie steckte die Tüte in den Abfalleimer und ging wieder hinein. Emily brachte nie den Müll raus. Nie. Ich wollte dem Mädchen ins Haus folgen. Ich wollte sehen, wo ich aufgewachsen war, wo ich gelebt hatte, als meine Familie noch ganz war.
Also öffnete ich, blöde wie ich bin, das Gartentor.
Die Sonne warf Streifenmuster auf den Weg. Ich klopfte an der Haustür. Als hätte sie auf der anderen Seite gewartet, öffnete das Mädchen, das den Müll herausgebracht hatte, die Tür. Sie runzelte die Stirn. Ihr Gesicht war verschlossen.
Sie sagte: »Was ist?«
»Ich …« Plötzlich wusste ich nicht weiter. »Ich möchte gern …«
Das Mädchen drehte sich um, bevor ich den Satz noch beenden konnte, und rief »Mum« über ihre Schulter. Dann sah sie mich wieder an. Außer, dass sie mich nicht richtig ansah. Sie wartete, so ähnlich, wie jemand an einem Bahnhof auf einen Zug wartet, nicht richtig aufmerksam oder so. Ich war ihr egal, denn ich war eine Fremde. Also sagte ich, um sie auf mich aufmerksam zu machen: »Ich habe früher mal hier gewohnt.«
Abrupt sah sie mich an, ihre Augen waren dunkel, wie die von Emily.
»Oh«, sagte sie sarkastisch.
Ich kam mir langsam richtig bescheuert vor. Was bedeutete es, wo ich früher gewohnt hatte? Was bedeutete irgendetwas? Nichts würde Emily zurückbringen. Ich merkte, wie eine Panikattacke stark wie ein Tsunami anrollte.
Ich streckte eine Hand aus, um mich abzustützen und bekam kaum noch Luft. Ich wollte nicht vor diesem fremden Mädchen Panik bekommen, aber sobald ich das dachte, ging es mir noch schlechter. Ich sagte: »Tut mir leid, wenn ich störe. Ich wollte nur …«
Sie schüttelte den Kopf, als ob eine Fliege um sie herumsurrte.
Eine Frau tauchte im Flur auf, schon älter, mit einem schmalen Gesicht und langem, rot gefärbtem Haar.
Das Mädchen an der Tür sagte sehr laut: »Sie hat früher mal hier gewohnt, Mum.«
Ich flüsterte: »Ich weiß nicht, was mit mir los ist.«
Die Frau fragte: »Geht’s dir nicht gut?«
Ich schüttelte den Kopf. Und dann war es, als ob der Boden auf mich zukäme. »Tut mir leid«, stieß ich hervor. »O Gott.« Übelkeit stieg in mir auf. Ich legte meine Hand über den Mund, damit ich mich nicht womöglich übergab. »Ich weiß gar nicht, warum ich hier bin.« Ich sah sie an, irgendwie verlor ich das Gleichgewicht, schwankte und fiel. Knallte richtig hin.
Die Frau drängte sich an dem Mädchen vorbei und beugte sich über mich. »Hilf mir mal, Sally«, sagte sie zu ihrer Tochter. Sie setzten mich auf, und die Frau sagte mir, ich solle genauso atmen wie sie. »So ist es gut, langsam durchatmen!« Sie sah mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Ich bin Eleanor Summerfield«, sagte sie.
Ich nickte und bemühte mich, nicht wieder ohnmächtig zu werden.
Eleanor sagte: »Komm doch rein und wir reden ein bisschen, ja?«
Das Mädchen, Sally, war ins Haus gegangen und sah inzwischen besorgt aus. Während ich langsam aufstand und dann Eleanor durch den kurzen Flur in die Küche folgte, sah ich Fotos von Sally entlang der Wände. Anscheinend war sie Tänzerin. Ich versuchte, mich an das Haus aus meiner Kindheit zu erinnern, wie es für mich als kleines Mädchen gewesen ist. Da waren Erinnerungsfetzen – Emily, wie sie lachte und in Mums Stöckelschuhen herumlief.
Die Küche war klein und dunkel, es gab nur ein einziges kleines Fenster. Ich konnte mir Mum vorstellen, wie sie dort Zeitung las. Ich meinte, mich an meinen Dad zu erinnern, an seine undeutlichen Umrisse, doch dann war die Erinnerung verschwunden. Die Küche war anders, als ich sie mir vorgestellt hatte. Verändert.
Es roch nach frischem Kaffee. Eleanor führte mich zu einem Plastiktisch, bat mich, dort Platz zu nehmen. Meine Hände zitterten. Ich sagte: »Tut mir leid.« Ich wollte noch etwas sagen, aber ich wusste nicht, was, also saß ich da, die Handflächen nach unten, und versuchte,
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