Vor uns die Nacht
zuckt stumm mit den Schultern, als habe es nichts mit ihm zu tun.
»Weißt du eigentlich, was ich mache? Was ich werden will? Was ich lerne und warum ich es tue?« Oh nein, wieso diese Sätze? Die waren nicht in meinem Skript und vor allem sind sie sinnlos. Ich werde mich exmatrikulieren, es ist also vollkommen egal, ob er weiß, was ich tue oder nicht.
»Klar. Du studierst Archäologie, korrekt? Und was hat das mit mir zu tun?«
»Ja, ich will Archäologin werden, ich habe wichtige Arbeiten und Prüfungen vor mir und auch ein Auslandssemester in Frankreich, bald schon und … das alles interessiert dich doch einen feuchten Dreck.«
Jan hebt erstaunt, aber gefasst den Kopf. Sucht er meinen Blick? Wenn ja, dann tut er das vergeblich. Auch ich kann meine Augen verbergen, obwohl sie offen sind.
»Warum, ich versteh nicht«, murmelt er rätselnd. »Fandest du es nicht – okay?«
»Doch, natürlich.« Er soll nicht auf die Idee kommen, ich würde irgendetwas bereuen. Es genügt, dass ich meinen kompletten Text vergessen habe und nur noch Unsinn rede. »Ja. Ich habe es ja auch herausgefordert. Hab mich frei und stark gefühlt, anfangs. Aber das ist nicht mehr so. Du laugst mich aus.« Auch das wollte ich niemals sagen. Es ist nicht die Wahrheit. Viel eher habe ich das Gefühl, ich selbst lauge mich aus. Doch es hat mit ihm zu tun, mit uns beiden.
»Ich lauge dich aus? Wieso denn das?« Abweisend verschränkt er die Arme. »Verlange ich etwas von dir?«
»Nein!«, rufe ich verzweifelt. »Nein. Aber diese ganze Geheimhalterei, die ständige Unsicherheit. Ich kann das nicht mehr. Ich will nicht dauernd streiten und dann wieder alles vergessen. Für ein paar aufregende Minuten. Wir streiten doch nur. Wenn wir versuchen zu reden, streiten wir.«
Für eine Sekunde sehe ich in Jans Gesicht, doch das Gegenlicht macht es mir unmöglich, seine Gefühle abzulesen. Plötzlich macht er einen Schritt auf mich zu. Sofort hebe ich abwehrend meine Arme und er stockt. Er darf mich nicht berühren. Wenn er das tut, ist alles zu spät.
»Ronia, ich bin nicht sauer. Ich will nur wissen, weshalb.«
»Ich fühl mich alleine!«, bricht es aus mir heraus. »Versteh doch, ich brauche mehr zum Glücklichsein als Sex und einen schönen Mann zum Anfassen. Ich weiß, das ist banal, aber – sehnst du dich nicht auch manchmal nach Geborgenheit und Sicherheit?« Wieso frage ich das ihn, jenen Mann, der mir mehr von beidem gegeben hat als Jonas und meine Ex-Freunde zusammen? Oder habe ich das nur so wahrgenommen, weil ich es nicht von ihm erwartet hatte?
»Ich habe gelernt, das in mir selbst zu finden. Zumindest probiere ich es.« Ich verstehe nicht, wie er das meint, das ist doch Humbug, man braucht dazu andere Menschen. Doch seine Antwort gab den allerletzten Ausschlag. Sie zeigt, wofür ich einen Gegenbeweis erhoffte, bis eben noch – es geht ihm nicht um mich. Ich muss es zu Ende bringen.
»Du könntest mir das nie geben, nie. Du würdest es gar nicht wollen.« Nein, stopp. Keine Vorwürfe. Ich beiße in meine Handknöchel, um nicht zu weinen. Minuten vergehen, bis ich weitersprechen kann. »Ich will nicht, dass das ewig auf diese Weise geht mit uns. Und außerdem, nein, vergiss es.« Schweig, du dummes Weib!, herrsche ich mich in Gedanken an. Schweig endlich!
»Was, Ronia? Was wolltest du gerade sagen?« Seine Stimme … Wie soll ich weiterleben, ohne sie meinen Namen aussprechen zu hören, während er mich berührt?
»Ich muss dir nicht alles sagen.«
Das Schweigen, was nun folgt und sich ausdehnt, ist wie ein großes, verschlingendes Nichts. Ich empfinde die Wohnung finsterer, als ich sie in all den Nächten erlebt habe. Dabei schaue ich unentwegt auf die langen, schmalen Streifen, die die Nachmittagssonne auf die Dielen wirft.
»Liebst du mich?« Jan spricht leise, aber bestimmt. Verblüfft sehe ich zu ihm auf. Er hat seine Arme wieder gelöst, sie hängen entspannt herab.
»Jan? Glaubst du das etwa?«
Ich brauche all meine Kraft, um stehen zu bleiben. Mein ganzer Körper zittert und die hereinfallenden Sonnenstrahlen machen mich mürbe. Ich möchte zurück in die weiche, funkelnde Schwärze unserer Abende und Nächte.
»Wenn du es nicht sagen kannst …« Behutsam geht er auf mich zu, wartet, macht einen weiteren Schritt. Bleib weg, Jan, bitte, bleib weg. »Zeigst du es mir dann?« Wie in Zeitlupe streckt er seine rechte Hand aus, als wäre ich ein scheues Tier, das er zum allerersten Mal berühren möchte. Mühsam richte
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