Vor uns die Nacht
sowieso irgendwann auf. Und haben Jonas und ich nicht immer eine enge seelische Verbundenheit empfunden? Ich muss es nur hinnehmen, als etwas Vorbestimmtes, was immer so sein sollte. Es hat sogar etwas Rührendes – und Tiefe, ich höre schon die Reden zu unserer Trauung, zwei Irrende, die sich endlich gefunden haben. Nun ja, eine Irrende und einer, der es immer wusste, aber macht es das nicht noch ergreifender?
»Was sagst du dazu, Herz?«, flüstere ich. Es schweigt. Kein Schmerz mehr. Kein Sehnen und Hoffen. Nur stumme Leere. Also ein Ja.
Es ist weit nach Mitternacht, als Jonas nach Hause kommt. Ich habe geduscht, mir die Haare gewaschen und Essen gekocht. Kerzen wird es bei uns nie geben, sie erinnern mich zu sehr. Auch auf die Servietten habe ich verzichtet. Trotzdem erwartet ihn eine für unsere WG ungewöhnlich behagliche und aufgeräumte Küche, als er neugierig um die Ecke lugt, um zu sehen, warum Licht brennt und Musik läuft. Radio, kein Chillout.
»Ich hab Schluss gemacht. Mit Jan.«
Schon wieder der verkehrte Auftakt. Aber egal, er soll das ruhig wissen – und mich dafür loben. Damit ich endlich eine Bestätigung von außen dafür bekomme, einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung gemacht zu haben.
»Und das feierst du jetzt? War es so schrecklich mit ihm?« Ironische Scherze sind bei Jonas so selten wie Schnee an Weihnachten. Sein unberührter Spott macht mich wütend, doch auch traurig, ohne dass ich weiß, wieso.
»Setz dich«, überspiele ich meine Gefühlsverwirrung und deute auf den Stuhl am Fenster. »Ich hab Hühnchen und …«
»Ich hab schon gegessen, danke. Eigentlich will ich nur noch ins Bett und schlafen.« Jonas deutet fragend auf den gedeckten Tisch und dann auf mich, die beflissen im Reis rührt. Mein Herz schweigt immer noch, es klopft nur, mehr nicht. »Ronia, was soll das? Du benutzt die Küche sonst in erster Linie, um sie zu verwüsten und Krümel auf dem Boden zu verteilen. Ist das wieder eine deiner Überreaktionen?«
»Ist es nicht! Ganz im Gegenteil!«, ereifere ich mich und lasse den Löffel zurück in den Topf fallen. Das hier würde sowieso niemand freiwillig essen. Doch der Wille zählt und den muss auch Jonas erkennen. »Ich sehe ganz klar, zum ersten Mal in meinem Leben. Jetzt weiß ich es!«
»Was weißt du?« Jonas wirkt nicht, als habe er es eilig, die Antwort zu erfahren. Er geht sogar einen Schritt zurück, um sich in den Türrahmen zu lehnen. Auch das macht mich wütend und zur Wut gesellt sich ein panisches Aufwallen in meinem Magen. Hat er sich während meiner Zeit mit Jan schon so weit von mir entfernt, dass ich ihm gleichgültig geworden bin? Wir kennen uns seit unserer Kindheit, ich darf ihm nicht gleichgültig sein! »Wohin ich gehöre. Was wichtig ist und wer es gut mit mir meint. Und das bist du, Jonas! Du warst es immer, ich hab es nur nicht kapiert und das tut mir aufrichtig leid, ehrlich, es tut mir leid!« Meine Stimme kippt, er wird mir meine Angst anmerken, doch solange ich rede, ist es nicht zu spät. »Jetzt weiß ich es und nur das zählt, oder? Das mit Jan, das war ein Irrtum, eine Flucht, weil ich so verletzt war durch Lukas und sein Gerede. Ich wollte mich damit trösten, auch, weil ich an Silvester fast vergewaltigt wurde …« Jonas’ müde Augen weiten sich erschrocken. »Ja, ich hab es niemandem erzählt, aber diese Prügelei, das hatte mit mir zu tun. Die wollten mir an die Wäsche.«
Das ist alles so weit weg. Ich wünschte, ich könnte mich zurück in den Moment beamen, in dem ich von ferne zusah, wie Jan einen der Typen trat. Kurz bevor die Hunde kamen. Und ich will auch zurück in die Nacht, als wir ins Tierheim einbrachen und ich den Pittbull streichelte. Doch das ist Vergangenheit. Keine Träne mehr wert.
»Warum hast du nichts gesagt? Ronia, ich bin Polizist, wenn du es jemandem sagen kannst und musst, dann bin ich es!« Jonas kommt zurück in die Küche und macht ein zusätzliches Licht an, um mir in die Augen schauen zu können. Doch meine Wimpern flattern, ich sehe sogar ihre dunklen Schatten auf und ab wandern. »Gott, Kleines.«
»Ich hab mich eben geschämt!« Ja, so war es, ich hatte mich geschämt, und meine Aufrichtigkeit verleiht mir neue Energie. »Aber das ist jetzt verarbeitet und vergessen, ich hab es überwunden und ich hab Jan überwunden, nun bin ich hier und du bist hier und ich weiß endlich, dass wir zusammengehören. Als Paar.«
»Du weißt was?« Jonas beugt sich vor, als habe er sich
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