Vor uns die Nacht
verhört. Seine Miene wirkt bestürzt – aber sie sollte freudig wirken und erleichtert. Hat er etwa eine andere?
»Dass wir zusammengehören«, bekräftige ich mit fester Stimme. »Ich hab es endlich begriffen. Diese ganzen Sachen, die wollten mir das nur zeigen. Es tut mir leid, dass ich es so lange nicht wahrhaben wollte.«
»Ronia, wir …« Jonas streicht sich mit beiden Händen über seine Wangen und blinzelt. »Das ist keine Rechenaufgabe, bei der man plötzlich den Lösungsweg begreift. Du redest hier von Liebe. Die lässt sich nicht berechnen.«
»Aber das weiß ich doch! Von Liebe! Du und ich …« Wo ist meine rhetorische Begabung geblieben? Ich muss nach Worten suchen, anstatt mich aus jenem netten Katalog zu bedienen, den mein Hirn stets bereitgehalten hat. »Jonas, muss ich das wirklich erklären? Du weißt es doch auch.«
»Ich bin mir nicht sicher.« Wieder weicht er ein Stückchen zurück, als könnte ich ihn anspringen und mich an ihn klammern, um nie wieder loszulassen. »Kommt dir das nicht alles auch ein wenig seltsam vor? Du machst mit Jan Schluss und nur Stunden später sagst du mir, dass wir zusammengehören und du mich liebst? Findest du das nicht merkwürdig?« Herrgott, er soll sich endlich freuen, anstatt nach Haaren in der Suppe zu suchen.
»Manchmal ist das Leben eben merkwürdig!« Wieder kippt meine Stimme und meine Kehle wird eng. »Jonas, bitte glaub mir. Ich meine das ernst. Es muss so sein. Bitte lass mich jetzt nicht im Stich, bitte.« Ich muss mich beherrschen, um nicht vor ihm auf die Knie zu fallen. »Du hast es versprochen, weißt du nicht mehr? Dein Ritterehrenwort?«
Jonas war damals vierzehn und ich zehn. Johanna hatte ihn in unserem Garten feierlich zum Ritter geschlagen und sein Ehrenschwur hatte besagt, dass er sein Leben lang für mich da sein und mich beschützen werde. Johanna und ich hatten um die Wette gekichert in unseren Burgfräuleinkleidern, die wir uns aus Mamas Fundus gebastelt hatten, doch Jonas’ Augen waren ernst gewesen und hatten mich unverwandt angeblickt. Jetzt aber fixiert er die Küchenanrichte, bevor er seufzend den Kopf schüttelt.
»Du solltest erst einmal zur Ruhe kommen und das mit der möglichen Diagnose verarbeiten, dich um dein Leben kümmern, bevor du …«
»Das tue ich! Jetzt gerade tu ich es!« Nun sind meine Tränen nicht mehr aufzuhalten. Sieht er mich denn nicht in meinem dunkelblauen Kleid mit den weißen Rüschen, über uns der Sommerhimmel und unter meinen nackten Füßen der weiche grüne Rasen, in dem ich immer wieder Schmuck und Münzen vergraben hatte? Er muss mich doch sehen! »Ich bin hier, Jonas, und ich brauche dich. Ich brauche dich, wir gehören zusammen.«
»Ist gut jetzt, Ronia. Mach das nicht. Steh wieder auf. Ich lasse dich nicht im Stich, das hab ich dir immer gesagt. Aber wir sollten es langsam angehen, okay? Keine Angst, ich bin da.« Ich muss doch auf die Knie gesunken sein, denn ich spüre, wie ich hochgehoben werde und seine Arme sich um meine Schultern legen, sodass ich meinen Kopf an seine Brust betten kann. Er darf mich nicht so berühren, eigentlich darf er das nicht, aber ich brauche es jetzt, wie eine bittere Medizin. Irgendwer muss mich halten, sonst schaffe ich das nicht. Meine Krankheit. Mein Leben. Die Zukunft.
»Ich hab solche Angst«, schluchze ich.
»Das weiß ich und ich verstehe es, wir machen uns alle Sorgen, aber bitte beruhige dich. Du darfst dich nicht so aufregen. Magst du noch was essen? Nein? Warte.« Sanft lässt er mich auf den Stuhl gleiten, auf dem er hätte sitzen sollen, kippt das Essen in Tupperdosen und stellt sie in den Kühlschrank. Es tröstet mich, ihm dabei zuzusehen, obwohl sich immer wieder Bilder von Jan und seinen gewagten Kochlöffel-Würfen dazwischenschieben. Jonas würde niemals Kochutensilien durch die Küche pfeffern. Aber hatte ich seine Ruhe nicht immer gemocht? Mit geübten, ruhigen Griffen räumt er die unbenutzten Teller und Gläser in den Schrank, bevor er mich an der Hand nimmt und ins Bad führt, wo er sich aus seiner Uniform schält und ich schweigend meine Zähne putze. Von nun an bis dass der Tod uns scheidet, denke ich sachlich. Das wird es sein. Kein Bangen mehr, kein Verlieben, keine Schmetterlinge im Bauch. Es ist sicher und gewiss. Ohne Überraschungen – vor allem ohne böse Überraschungen.
Heute muss er nicht fragen und sich einen Korb einfangen. Auch ich frage nicht, als ich mich neben ihm ins Bett lege und in seinen Arm krieche.
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