Vor uns die Nacht
sortieren, doch verstehen tue ich sie trotzdem nicht.
»Wieso Hoffnung? Josy, nimm bitte mal die Finger vom Gesicht, ich möchte dich sehen, wenn wir miteinander reden.«
Zögerlich lässt sie ihre Hände sinken und schaut mich an und mir wird elend im Magen.
»Für dich? Hoffnung für dich? Ist es das, was du meinst?«
Unter einem neuerlichen Schluchzer nickt sie. »Ja. Ja, das ist es. Ronia, es tut mir leid, ich wollte das nicht …«
»Aber wieso tut es dir denn leid? Und warum hast du mir nie etwas gesagt? Oh Gott, Josy.« Jetzt fühlen sich meine Berührungen echt und sicher an, als ich an sie heranrücke und ihr mit einem Taschentuch die Tränenbäche von den Wangen wische. Währenddessen fange ich selbst an zu weinen. Dieser ewige Johanna-Ronia-Heulmechanismus – er funktioniert immer noch reibungslos. »Wie lange denn schon?«
»Ach, schon immer.« Sie lacht unter Tränen auf. »Seitdem ich ihn bei euch kennengelernt habe. Also immer. Aber ich hab es erst kapiert, als ich vierzehn war. Vorher dachte ich, ich würde mir nur einen Bruder wie ihn wünschen.«
Bingo. Diesen Gedanken kenne ich. Auf die anderen Gefühle jedoch wartete ich vergeblich. Johanna hatte sie.
Obwohl das nicht zu meiner neuen Gesundheitsbewahrungsdiät passt, ziehe ich ihren Kaffee zu mir herüber und nehme einen kräftigen Schluck. Ich stehe mächtig unter Schock.
»Warum hast du es mir nicht gesagt?«
»Weil ich dachte, es sei nur eine Frage der Zeit, bis du es endlich kapierst! Und bei ihm war es ja eindeutig, wieso sollte ich es versuchen? Er hat es mir doch selbst mehrmals anvertraut und mir wortwörtlich gesagt, dass er dich liebt. Das hat doch keinen Sinn! Aber solange ihr nicht zusammen seid, hab ich halt immer ein bisschen Hoffnung …«
»Hattest du deshalb fast nie einen Freund? Und ist es deshalb auch mit Max so schnell auseinandergegangen?«, vergewissere ich mich, während meine Gedanken endlose Ketten bilden. Doch diese Ketten sind logisch. Daher ihr ständiges Drängen, ich solle eine klare Entscheidung fällen. Sie brauchte das, um drüber hinwegzukommen und ihre Träume begraben zu können.
»Ja. Nein. Doch. Ach, ich weiß nicht …« Zurückhaltend wie immer putzt sie sich ihre Nase und faltet das Taschentuch diskret zusammen. »Max wollte Sex. So schnell.«
»Wie schnell? Am ersten Abend gleich?« Mein Bauch krampft, als ich an Lukas denken muss, doch ich atme gegen das Druckgefühl an. Lukas darf nicht mehr zwischen Josy und mir stehen. Das ist dieser Depp nicht wert.
»Nein, nach drei Wochen, glaub ich.« Soeben hat Johanna unseren Errötungswettbewerb eindeutig für sich entschieden.
»Und?« Drei Wochen sind eine akzeptable Zeit, finde ich. Die meisten wollen nicht so lange warten. Johanna beginnt nervös an ihrer Unterlippe zu kauen.
»Ich hab mich nicht getraut, ihm zu sagen, dass ich … na ja. Wollte halt immer, dass Jonas der Erste ist.« Die zweite Hälfte ihres Stammelsatzes spricht sie so undeutlich aus, dass ich all mein wissenschaftliches Knobeltalent brauche, um ihr folgen zu können.
»Der Erste. Der Erste?«
»Pscht, Ronia, bitte ein wenig leiser, okay? Bitte.« Johanna fängt schon wieder an zu weinen und ich heule eine neue Runde mit, obwohl ich zeitgleich lächeln muss. Doch nicht aus Häme und Spott, sondern weil sie ein so dummes, kleines, süßes Lämmchen sein kann. »Ich weiß, ich bin spät dran. Na und?«
»Aber … oh verfluchte Kacke. Ui!« Nun wird aus meinem Lächeln ein Lachen und nach einigen Schnaufern stimmt Johanna ein. »Du warst echt gut. Nicht schlecht, Josy.«
Unsere ganzen Frauengespräche über Kerle – ein Fake. Ja, von Johannas Seite ein Fake, sie muss sich das alles angelesen haben oder sie hat gut bei anderen zugehört. Ich wäre niemals darauf gekommen, dass ihre wenigen, aber altklugen Zwischenrufe reine Theorie gewesen sind. Und dann … oh nein.
»Die Dildoparty.« Jetzt schlage ich die Hand vor den Mund, doch ein leicht hysterisches Kichern entweicht mir noch. Johanna hatte schon einen Schwips und eine ganze Armada an verbalerotischen Steilvorlagen hingelegt, während sie ununterbrochen giggelte. Doch es muss pure Folter gewesen sein. Selbst ich habe mich den gesamten Abend über dezent geschämt und unsere ständigen Vergleiche von Männern mit batteriebetriebenen Elektrogeräten nur mit viel Prosecco überstanden. Aus Anstand habe ich mir am Schluss ein mattlila Einsteigermodell gekauft, das nun gut verborgen hinter einer Erinnerungskiste in
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