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Vor uns die Nacht

Vor uns die Nacht

Titel: Vor uns die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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der untersten Schreibtischschublade ein einsames Dasein fristet. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, seine vier Vibrationsstufen hoch- und runterzujagen, während ich an Jan dachte. Oder ihn gar zu ihm mitzubringen. Trotzdem fühlten Josy, Chiara und ich uns ein bisschen wie bei Sex and the City , als wir zu dieser Verkaufsparty aufbrachen. Wie echte Frauen eben.
    »Ich dachte, der Abend geht nicht rum …« Jetzt gewinnt auch bei Josy die Heiterkeit. Blinzelnd kichert sie in ihr frisches Taschentuch. »Ich hatte am nächsten Tag Muskelkater im Nacken, so sehr hab ich mich verkrampft.«
    Ich muss mir auf die Hand beißen, um nicht einem Lachflash zu verfallen. Der letzte liegt unfassbar lange zurück. Mein Bauch will diese unverhoffte Chance nutzen, aber nach ein paar Momenten gewinne ich. »Darüber reden wir noch, ja? Zurück zu Jonas.« Augenblicklich verdüstert sich Johannas Miene. Doch das muss sie nicht. »Johanna, ich glaub, er liebt mich gar nicht. Das ist eine fixe Idee. Mehr nicht. Er hat nicht einmal versucht, mich zu küssen. Wir liegen nebeneinander in seinem Bett und es passiert nichts. Gar nichts.«
    Ich kann dabei zusehen, wie ihre Augen offener und heller werden. Sie bekommt wieder Hoffnung. Doch ich rede nicht nur so daher. Vielleicht war ja gar nicht ich diejenige, die blind war. Vielleicht war Jonas es.
    »Er wird Rücksicht auf deine – na ja, auf die Sache nehmen, oder?« Die Sache. Multiple Sklerose. Über die müssen wir wohl auch noch sprechen, aber nicht jetzt.
    »Glaub ich nicht.« Nun, wo ich es offen sage, bin ich mir sogar sicherer als die vergangenen Tage. »Ich hatte schon vor ein paar Wochen das Gefühl, dass er anfing, mit mir abzuschließen. Er war so distanziert.«
    »Okay, dann …« Johanna beginnt herumzudrucksen, fängt mit einem Satz an, verwirft ihn wieder, versucht einen neuen Start, blickt zur Decke, auf die fleckige Tischplatte. Geduldig warte ich und es fällt mir leidlich schwer.
    »Rück schon raus, Johanna. Was dann?«
    »Dann hab ich mir das nicht eingebildet? Er hatte sich um mich gekümmert, seitdem du und ich … nicht mehr so eng waren. Wir waren zusammen essen und am Baggersee oder haben uns zum Frühstück getroffen. Solche Sachen halt. Aber manchmal dachte ich, er guckt mich ein bisschen zu lange an oder berührt meinen Arm, obwohl es nicht sein muss. Verstehst du?«
    Ja, ich verstehe. Diese Dinge, die ich bei Jonas stets vermieden habe. Und er tut sie bei Johanna? Es ist ein ungewohnter Gedanke, ich weiß nicht genau, ob er mir gefällt, aber mindestens genauso präsent wie das Unbehagen ist mein schlechtes Gewissen. Während ich meine Liebeleien mit Jan pflegte, hatte sich zwischen Johanna und Jonas etwas angebahnt. Und ich habe es zerstört, indem ich mich an Jonas’ Knöchel geklammert und ihn angefleht habe, sich auf mich zu besinnen, weil das unser Schicksal sei. Jetzt verstehe ich, warum Johanna das nicht mehr aushält. Ich muss sie erlösen.
    »Wie gesagt: Zwischen ihm und mir ist nichts gelaufen. Gar nichts. Ehrlich, Josy. Alles wieder offen.«
    »Und du bist dir wirklich sicher, dass du ihn nicht willst? Ganz ganz sicher?«
    »Absolut sicher.« Goodbye, Ritter in schimmernder Rüstung. »Er ist mir zu – na, berechenbar. Ich weiß immer genau, was er als Nächstes tut, und es ist stets korrekt und richtig und sozial.« Vertrauensvoll senke ich meine Stimme. »Er ist ein kleiner Spießer.«
    Johanna seufzt und pustet sich eine dunkle Ponysträhne aus der Stirn. »Ich weiß das, Ronia. Genau deshalb …« Sie überlegt einen Moment. »Genau deshalb.« Stimmt, sie muss es nicht erklären. Die andere Seite kennt sie zur Genüge. Ihre gesamte Kindheit und Jugend stand unter dem wankenden Stern der Unberechenbarkeit. Sie war den Spleens und Eskapaden ihrer Mutter hilflos ausgeliefert.
    »Du und Jan, was ist eigentlich damit?«, fragt Josy nach einer kleinen Schweigepause, in der wir im stillen Einverständnis unseren Gedanken nachgehangen sind.
    »Nichts mehr. Aus.« Ich habe gerade aufgehört zu weinen, ich möchte nicht darüber sprechen.
    »Bist du dir sicher, dass da nichts mehr ist zwischen euch? Und dass das richtig so ist? Weil …« Johanna stockt, als wüsste sie nicht, ob sie weiterreden darf. Gebannt hänge ich an ihren Lippen.
    »Glaubst du mir nicht? Ich hab Schluss gemacht. Ich, nicht er.«
    »Doch, glaub ich dir schon, aber …« Wieder stockt sie. »Ronia, ich kann das nicht hier, nicht in dieser Umgebung.« Mit fliegenden Händen

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