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Vor uns die Nacht

Vor uns die Nacht

Titel: Vor uns die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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mich auf etwas anderes konzentrieren, wenn mich dieses belauschte Gespräch wieder mitten in die ganze Misere hineingestoßen hat? Es ist absurd, Lukas’ Lästerei wütet schon jetzt unbarmherziger in meiner Seele als die Szene mit den drei Typen. Ja, ich hatte Angst um mein Leben, diese Minuten waren wie ein Albtraum – doch ich kenne diese Männer nicht. Mit Lukas hingegen lag ich nackt im Bett, Haut an Haut, und ich glaubte, ihn zu lieben. Das ist etwas völlig anderes. Und mir ist, als ob hinter ihm auch meine anderen Ex-Freunde stehen, mit dem Finger auf mich zeigen und sich über meine Bettqualitäten lustig machen. Was Lukas gesagt hat, war überzogen und gemein. Bisher hat sich zumindest noch nie jemand über mich beklagt, trotzdem … Ein Quäntchen Wahrheit, von dem er nicht das Geringste ahnt, steckt tatsächlich dahinter. Und durch seine Lästerei wird es mir bewusster denn je. Gekommen bin ich wirklich noch nie. Jedenfalls nicht beim Sex mit einem meiner Freunde. Ich weiß, dass ich es kann, das ja. Dazu genügen zwei Hände. Um genau zu sein, genügt eine. Aber zusammen mit einem Mann – nein. Jedes Mal war ich so auf sie konzentriert und darauf, dass ihnen gefällt, was ich tue, dass ich mich irgendwann selbst dabei verloren habe. Bisher war das okay für mich. Ich war überzeugt davon, dass es irgendwann von ganz alleine geschieht und eben seine Zeit braucht. Jetzt komme ich mir zum ersten Mal wie eine Versagerin vor. »Ronia? Wo bist du mit deinen Gedanken? Ist das auch wirklich alles, was heute Abend passiert ist?«
    Ich nicke stumm. Ja, das ist alles. Denn ich werde versuchen, das andere aus meinem Gedächtnis zu streichen, sobald ich ein paar Stunden geschlafen habe. Irgendwie wird es gehen. Ich muss es nur mit neuen Erfahrungen überdecken.
    Das plötzliche Läuten des Telefons lässt uns beide aufschrecken, doch es ist Jonas, der abnimmt und sich mit ruhiger Beamtenstimme meldet. Er kommt nicht mal dazu, seinen Namen auszusprechen.
    »Ja, sie ist hier … warum … ach so … oh … okay, warte, ich geb sie dir …«
    Die Strenge in seinem Blick erinnert mich ein wenig an Vater. »Für dich. Bambi«, sagt er mahnend, als er mir das Telefon reicht. Oje, Johanna. Die habe ich total vergessen.
    »Hey, Josy …«
    »Oh Gott, Ronia, ich bin so froh, deine Stimme zu hören, wir haben uns solche Sorgen gemacht!« Und ich möchte im Boden versinken, als ich ihre Stimme höre. Unverkennbar hat sie geweint und sie klingt so ausgebrannt, dass mein Herz augenblicklich in Mitgefühl ertrinkt. Zu spät, fürchte ich. Ich hab sie mit meiner Flucht in Angst und Schrecken versetzt. »Wir mussten die Tür eintreten, beinahe hätten wir die Polizei geholt. Ich hab ja erst einmal eine Viertelstunde auf dich gewartet, bis ich ahnte, dass was nicht stimmt, und dann riefen wir nach dir und du hast nicht geantwortet …« Sie bricht ab, um sich die Nase zu putzen. Ich will gar nicht wissen, wer die anderen sind. Es ist peinlich genug, dass ich für einen solchen Aufstand gesorgt habe.
    »Josy, es tut mir leid. Ehrlich. Ich hab Lukas zufällig bei einem Gespräch belauscht, er hat schlecht über mich geredet und ich wollte nur noch weg …«, versuche ich mich zu erklären.
    »Aber wieso sagst du mir dann nicht Bescheid und gehst nicht wie andere Menschen durch die Tür? Ich dachte, du hast dir was angetan da drinnen.«
    »Ich doch nicht!«, entgegne ich erschrocken. Hat sie das etwa wirklich geglaubt? »He, du kennst mich doch!«
    »Ja, aber es hätte ja auch sein können, dass du ohnmächtig geworden bist oder irgendwas genommen hast oder … keine Ahnung. Hab dir in dem Moment alles zugetraut. Du warst schon die ganze Woche so still und unnahbar.«
    »Sorry. War wohl eine Übersprunghandlung«, murmele ich. Für meine Übersprunghandlungen bin ich über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. »Ich hab nicht nachgedacht.«
    »Bitte denk das nächste Mal nach, Ronia. Bitte. Ich hab dich doch lieb.«
    Ich muss mich einen Moment sammeln, um nicht ebenfalls zu weinen, denn eines höre ich deutlich: Bei Johanna fließen erneut Tränen. Wir gehen zwar nicht zusammen aufs Klo, aber im gemeinsamen Heulen sind wir unschlagbar. Wenn wir mal damit anfangen, hören wir nicht so schnell wieder auf.
    »Ich dich auch, Josy. Es ist alles gut, mach dir keine Sorgen. Jonas ist bei mir, auf dem Heimweg bin ich noch in eine … Na, da war eine Prügelei, ziemlich übel, und das hat mich so abgelenkt und erschreckt, dass ich nicht mehr

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