Vor uns die Nacht
Chinaböller zur Seite, der gequält verpufft.
Ich hätte nicht stehen bleiben dürfen. Das war dumm. Jetzt sind sie auf mich aufmerksam geworden und schauen mich an. Mit der Rechten taste ich meine Jeans ab, doch das ist zwecklos, denn mein Handy liegt in meiner Handtasche, bei Johanna, die immer noch denkt, ich sei auf dem Klo. Es wird dauern, bis sie kapieren, dass ich gar nicht mehr dort bin. Niemand weiß, wo ich stecke. Ich habe keinerlei Möglichkeit, Hilfe zu rufen. Das hier muss die Revanche für meine Stalkerei an Weihnachten sein – das Schicksal schlägt zurück, wie immer doppelt und dreifach. Ich sag es ja – Gott hat einen kranken Sinn für Humor.
»Hallo, hallo!«, ruft der Dicke anerkennend und kommt näher. »Wen haben wir denn da?«
Das ist nicht real, oder? Diese Szene kann nur aus einem schlechten Film stammen. Doch wie in einem solchen Film kann es nicht ausgehen, darf es nicht! Das wäre zu platt. Die meinen das bestimmt nett. Silvester eben. Da ist man geselliger. Und betrunken dazu.
»Niemand«, antworte ich abweisend und setze mich wieder in Bewegung. Aber das Beben in meiner Stimme ist nicht zu überhören. Ich habe Angst. Und das turnt sie an.
»Na, mal nicht so eilig, Süße. Wünsch uns einsamen Männern mal ein frohes Neues, ja? Aber mit Küsschen.«
Ich versuche, nach rechts auszuweichen, doch es ist zu spät – der Dicke hat mich bereits am Handgelenk gepackt und zieht mich ruckartig zu sich. Ich kann riechen, dass er sich übergeben hat, vermutlich haben die drei gesoffen wie die Löcher. Denen ist alles egal. Die wollen eine Frau, jetzt, sofort.
»Macht euch keine Mühe, ich krieg die Beine sowieso nicht auseinander«, raunze ich ihn an und würge beinahe, weil sein säuerlicher Atem in Stößen auf mein Gesicht brandet. Er ist erregt. Grunzend schnüffelt er an meinem Hals.
»Na, das werden wir ja sehen. Komm schon, Süße, nicht so steif. Es ist Silvester …«
Eine Hand grapscht nach meinem Hintern, knetend und prüfend, sie muss von einem der anderen Männer stammen, denn der Dicke hat seine Pranken fest um meine Taille gelegt und hört nicht auf, mir ins Gesicht zu atmen. Ich versuche das Übliche, etwas anderes fällt mir auch nicht ein: Knie anziehen und ihm in die Eier stoßen. Doch ich weine bereits hilflos vor mich hin und Kraft habe ich sowieso keine. Ehe mein Knie seinen Schritt erreicht, hat er mich gegen die Hauswand gedrückt und schiebt mir seinen schweren Schenkel gegen die Hüfte. Tief schneidet meine Gürtelschnalle in meinen verkrampften Bauch.
»Loslassen oder ich schreie!«, warne ich ihn mit dünner Stimme. Verdammt, ich sollte längst angefangen haben zu schreien, warum schreie ich nicht? Schrei, Ronia!
»Hilfe«, versuche ich es, doch seine Hand hat sich schon auf meinen Mund gelegt. Auch sie riecht nach Kotze und Bier. Erneut ziehe ich mein Knie an, aber die Bewegung nimmt mir Balance. Die Wand in meinem Rücken ist rau und hart und ich kann spüren, wie meine Haut über den Wirbeln aufreißt. Das wird eine Vergewaltigung, registriere ich nüchtern. Gleich werde ich vergewaltigt, auf offener Straße, von drei Männern auf einmal. Und ich kann nichts dagegen tun. Verzweifelt hebe ich meine Lider und blicke ihn direkt an, flehend, bittend und wütend. Doch er glotzt nur auf meinen Ausschnitt, meine Augen sind ihm gleichgültig. Oder irre ich mich? Ist das nur ein Spaß unter Jungs und sie werden mich gleich loslassen und mir ein Bier anbieten? Wollen mir eigentlich gar nichts tun?
Seine Hand rutscht von meinen Lippen und ich beginne sofort zu brüllen, dieses Mal etwas lauter. »Hilfe! Helft mir, Hilfe!« Der Kerl reagiert mit einem bösartigen Knurren, doch bevor er seine Finger erneut über meinen Mund schieben kann, wird er starr und sackt in sich zusammen. Wie, das war es schon? Er gibt auf? Als sein Schatten von mir weicht, habe ich das Gefühl, geblendet zu sein. Auf einmal ist es hell um mich.
»Lauf! Verdammt noch mal, lauf, Ronia! Hau ab!«
Diese Stimme … Selbst wenn er schreit, hat sie noch dieses belegte Robert-de-Niro-Timbre und er ist gerade unfassbar wütend.
»Verstehst du nicht, was ich sage? Lauf! Bring dich in Sicherheit, Mädchen!«
Plötzlich kann ich mich wieder bewegen. Einen Sekundenbruchteil noch starre ich auf den Dicken, der keuchend am Boden liegt und sich die Halsschlagader hält, dann fange ich an zu laufen, obwohl ich meine Beine nicht spüre und das Gefühl habe, bei jedem Schritt hinzufallen.
»Wo ist
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