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Vor uns die Nacht

Vor uns die Nacht

Titel: Vor uns die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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mutig. »Du würdest es mir doch sagen, oder? Wenn es passiert? Mit Jonas?«
    »Du würdest es als Allererste erfahren, glaub mir. Noch vor meinen Eltern, dem Helferkreis und sämtlichen Nachbarn und Verwandten«, gebe ich zurück und verdrehe die Augen, um zu demonstrieren, wie sehr mir dieses Thema auf den Zeiger geht, doch Johanna steigt nicht darauf ein.
    »Ich glaub, wir müssen mal los, sonst schaffen wir es nicht mehr zur Party«, wechselt sie abrupt das Thema.
    »Du weißt, ich geh erst laufen.«
    »Okay, dann kommst du eben fünf Minuten später.« Plötzlich grinst sie wieder, schaut mich direkt an und für einen Augenblick ist alles wie früher. Die Distanz zwischen uns hat sich in Luft aufgelöst. Ich trete ihr sanft ans Bein, bevor wir aufstehen, unsere Tabletts abliefern und zur Bahn laufen. Auf der kurzen Fahrt in die Stadt reden wir über Belanglosigkeiten, ohne uns jedoch zu verabreden oder Pläne zu schmieden. Zu deutlich sind meine Signale, dass ich mich um meine Arbeit kümmern muss, was sogar mir selbst immer mehr wie ein billiger Vorwand erscheint.
    In der WG empfängt mich Jonas mit dröhnendem Staubsauger und finsterer Miene, weil ich morgens wieder Chaos hinterlassen habe, bevor ich zur Uni aufbrach. Ich ignoriere seinen Putzkoller und verdrücke mich sofort in mein Zimmer, um mich umzuziehen. Am Wochenende habe ich meine alten Schulsportsachen aus meinem Schrank im Pfarrhaus gerettet, bevor Mama sie in eine Kleidersendung geben konnte. Draußen bricht bereits die Dämmerung herein. Ich muss mich sputen, wenn ich nicht im Dunkeln laufen will.
    Sobald ich in den Flur trete und zur Tür eile, verstummt der Staubsauger.
    »Ronia? Was hast du denn vor?«
    Ich wusste es. Ohne mich nach Jonas umzudrehen, öffne ich die Tür. Der wird mich jetzt nicht aufhalten.
    »Eine Runde joggen. Brauch Bewegung.«
    »Halt, stopp, warte mal.« Ehe ich die Tür hinter mir zuziehen kann, hat Jonas sie wieder aufgestemmt. »Alleine? In der Dämmerung?«
    »Ja. Unten an der Promenade, wo tausend andere Frauen joggen gehen, alleine und in der Dämmerung. Kann ich jetzt bitte?«
    »Soll ich nicht besser mitkommen?«
    Ich zögere eine Sekunde. Vorhin hatte ich sogar selbst noch darüber nachgedacht. Jonas wäre ein idealer Trainingspartner. Er würde mich dazu ermutigen, sinnvolle Aufwärmübungen zu absolvieren, für die ich niemals den Mut hätte, weil ich in der Öffentlichkeit nicht gerne turne. Er würde eine Flasche Wasser für mich mitnehmen, mir Schutz bieten und darauf achten, dass ich mich nicht überfordere. Dummerweise ist das alles sehr langweilig. Klug, aber langweilig.
    »Nein, ich brauche bisschen Zeit für mich.«
    »Ronia, du machst kaum mehr etwas anderes, als Zeit mit dir selbst zu verbringen. Was ist eigentlich los? Irgendwas ist doch passiert, Johanna denkt das auch und …«
    »Himmelherrgott, könnt ihr mich nicht einfach mal in Frieden lassen? Kann ich nicht einen Schritt gehen, ohne dass er von dir und Josy interpretiert und gewertet wird? Ich gehe laufen, wie Millionen andere Menschen auch, und ihr macht einen Staatsakt draus! Ich habe das so satt, ehrlich!«
    »Darum geht es doch gar nicht«, entgegnet Jonas gänzlich unbeeindruckt von meiner Schimpftirade. »Wir spüren doch, dass dich etwas belastet. Du, Johanna und ich – wir kennen uns seit Kindertagen, wir sind wie Geschwister!«
    »Ja, genau, wie Geschwister«, erwidere ich gedämpft. »Geschwister. Bruder und Schwester.«
    Jonas wendet sich zur Wand und hält kurz den Atem an. Es war nicht richtig, dass ich das so deutlich gesagt habe, ich attackiere ihn an seinem wundesten Punkt. Doch es ist auch mein wunder Punkt und ich fühle mich überdies kontrolliert und eingeengt. Josys und Jonas’ Fürsorge in allen Ehren – ich werde ja wohl noch joggen gehen dürfen. Ohne Begleitung und ohne es vorher auf tiefenpsychologischer Ebene ausdiskutieren zu müssen. Das ist meine Sache, basta. Ich bin erwachsen und das schon seit knapp drei Jahren.
    Unsanft werfe ich die Tür hinter mir zu, stopfe das Handy in die Tasche meiner grauen Trainingshose, hetze die Treppe hinunter und laufe mit leerem Kopf und jagendem Herzen der Kälte entgegen.

Im Zwielicht
    S obald ich die Uferpromenade erreicht habe und auf den sandigen Hauptpfad einbiege, weiß ich, dass ich mich in meinen großspurigen Theorien Jonas gegenüber kolossal geirrt habe. Das Areal ist wie leergefegt und statt der angekündigten anderen Joggerinnen kommt mir nur ein drahtiger

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