Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vor uns die Nacht

Vor uns die Nacht

Titel: Vor uns die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
Hast du dir dein Gesicht mal genau angesehen? Deine Augen?«
    Meine Augen. Nein, in letzter Zeit nur flüchtig, weil mir sofort die Kommentare von Lukas in den Kopf schießen. Auch jetzt höre ich seine Worte, als habe ich gestern erst an der Tür gestanden und ihn belauscht.
    »Puppenaugen«, wiederhole ich leise, was er gesagt hat, so abfällig und belustigt. »Ich hab Puppenaugen.«
    »Bitte was?« Jan lacht laut auf, zum ersten Mal sehe ich ihn offen und ehrlich lachen. Es kommt tief aus seinem Bauch und lässt ihn schlagartig um Jahre jünger wirken. »Puppenaugen sind glupschig und tot. Aber ich weiß, was die meinen, wenn sie das sagen. Das sagen doch andere, oder, nicht du? Aber du glaubst es.«
    Seufzend zucke ich mit den Schultern. »Macht es noch Sinn, dass ich mich an dieser Konversation beteilige, oder möchtest du sie alleine fortführen?«
    »Hexe. Du bist eine Hexe. Nie gemerkt?«
    »Oh, schön. Besten Dank, zu gütig. Und du vermutlich der Teufel in Menschengestalt. Deshalb passen wir ja auch so wunderbar zusammen.«
    »Nein, Baby, ich meine das ernst.«
    Huch, habe ich das richtig gehört? Er hat Baby zu mir gesagt? Erst Hexe, dann Baby, das ist zu viel für mich, zumal sich das Baby so weich und dunkel und …
    »Okay, du hast einen Sonnenstich. Komm her. He, hoch mit dir, nicht umkippen jetzt. Ronia?«
    Nimm mich einfach in deine Arme und trag mich in den Schatten. Bitte. Doch es geschieht nicht, ich muss alleine auf meine Beine kommen. Jan zieht mich lediglich am Handgelenk in die Senkrechte und schiebt mich durch die Büsche vor sich her. Mein erster Tanzschultango war weitaus erotischer als das, was wir hier vollführen, und den musste ich mangels Jungs als Mann tanzen, mit einer anorektischen Blondine, die sich wie im Krampf an mich klammerte und mir ihren Kaugummiatem ins Gesicht blies, während ich nur eines dachte: Ich will nach Hause.
    »Ich weiß nicht, ob dir das mal jemand gesagt hat, aber du bist hellhäutig, du solltest nicht so viel in der Sonne herumrennen bei solchen Temperaturen.« Er hebt die Flasche vom Boden auf und reicht sie mir. »Trink.«
    »Geht’s auch freundl…?«
    »Trink!«, unterbricht er mich harsch. »Mein Erste-Hilfe-Kurs liegt eine Weile zurück und ich hatte was geraucht. Ich kann dich also nicht retten, wenn du kollabierst, weil ich mich an nix mehr erinnere. Kapiert?«
    Ich strecke ihm die Zunge raus, bevor ich aus seiner Flasche trinke. »Ich bin dunkelhaarig«, setze ich zusammenhanglos hinterher, nachdem ich sie von meinen Lippen genommen habe.
    »Aber deine Haut ist fast weiß«, widerspricht Jan, der sofort wieder mitten im Thema ist. »Ohne Sommersprossen. Dazu deine Augen. Da passt nichts zusammen. Ist dir das nie aufgefallen? Ich sag doch, du bist ’ne Hexe. Falls du schon mal gelebt hast, hast du ein paar Stunden davon auf dem Scheiterhaufen verbracht, dafür leg ich meine Hand ins Feuer. Mit solchen Gesichtern kommt fast niemand klar. Also geh lieber nachts raus, das Tageslicht bekommt dir nicht.«
    »Für heute keine Sätze in Befehlsform mehr, verstanden?« Ich schütte ihm einen Schwung von seinem Wasser in den Ausschnitt. Mir ist immer noch schwummrig, doch ich hab mich selten besser gefühlt. »Sonst verhexe ich deine Eier zu Schrumpfhoden.«
    »Puppenaugen.« Jan lacht erneut auf, dieses Mal gedämpfter und in sich gekehrter. »Wer erzählt denn solchen Mist?«
    »Mein Ex«, erwidere ich kurz angebunden. Jan setzt sich wieder an den Baumstamm, und weil genau das die Position ist, die reichlich in meinen Träumen zu sehen war, knie ich mich vor ihn, rücke vorsichtig zwischen seine Schenkel und lehne mich mit dem Rücken an seine Brust. Sofort legt er seine Hand auf meinen rechten Oberschenkel, der immer noch nackt ist. Er berührt meine nackte Haut … an meinen Beinen … das hat er noch nie getan.
    »Sie sind hellgrün, voller Licht. Wenn dein Ex behauptet, sie seien Puppenaugen, heißt das nur eins: Er hat sich in die Hosen gemacht vor Angst. Der Pisser hatte Angst vor dir.«
    Ich höre gar nicht mehr richtig hin, denn das Wasser hat mich belebt und der Sonnenstich ermattet, eine Wirkung, die der von Drogen vermutlich recht ähnlich ist. Ich trete aus meinem Körper heraus und doch fühle ich ihn intensiver als je zuvor in meinem Leben. Hatte ich ihn überhaupt einmal richtig wahrgenommen – so wie jetzt?
    »Will nicht über meinen Ex reden«, murmele ich benommen. »Nicht jetzt. Bitte.« Fast ist mir, als schlafe ich in völliger

Weitere Kostenlose Bücher