Vor uns die Nacht
nicht gebogen sind, ähnlich den Fächern eines Pinsels. Er hat eine Narbe am rechten Auge, wie eine Fortführung seines Lids, genäht mit vier Stichen. Aus Kinderzeiten? Wie war er wohl als Kind? Ein lieber, süßer Junge oder ein kleines Scheusal?
Dort, wo mein Kopf ruhte, hat sich sein Hemd ein Stück nach oben geschoben, sodass ich ein paar Zentimeter seines Bauches sehen kann. Ich müsste den Hemdzipfel nur anheben, um meine Hand auf seine Brust legen und sein Herz klopfen hören zu können. Doch das würde ihn wecken. Ganz langsam lasse ich meinen Oberkörper wieder sinken und bette meine rechte Wange auf seine Leiste, wo ich zur Hälfte auf seiner nackten Haut und zur Hälfte auf seinem Gürtel liege. Beide Gerüche vermischen sich sanft miteinander – der dunkle, herbe des Leders und die milde, saubere Note seines Bauchs. Schmunzelnd denke ich an meine Pubertät zurück, als mir bewusst wird, an welch delikatem Punkt eines Männerkörpers ich mich gerade befinde. Ich werde den hell entsetzten Moment nie vergessen, als Johanna und ich uns darüber klar wurden, dass Frauen so etwas tatsächlich tun. Einem Kerl einen »blasen«. Erst wussten wir nicht, was es überhaupt bedeutet, dann erfuhren wir es aus der Bravo . Doch wir waren felsenfest davon überzeugt, dass Jungs sich das zwar wünschen, aber die meisten Mädchen es niemals machen. Warum denn auch? Das ist ja eklig!
Mit fünfzehn, bei meinem ersten Mal, verschwendete ich keinen Gedanken daran, denn der ganz normale Akt gestaltete sich bereits schwierig genug und steigerte sich zu einem mittelschweren Desaster, sodass Robin und ich vor lauter Verlegenheit weder darüber redeten noch einen neuen Versuch wagten – geschweige denn über andere Experimente nachdachten. Drei Wochen später war es ohnehin aus.
Es war Daniel, Robins Nachfolger, der mir eines Tages einen Ausschnitt aus der Men’s Health vor die Nase schob, in der ein findiger Journalist Anleitungen dazu gab, wie Männer Frauen dieses »höchste Gefühl der Lust« schmackhaft machen könnten. Für mich war, wie ich fand, kein stimmiges Rezept dabei. Außerdem war ich noch damit beschäftigt, mich von meinen neuerlichen sexuellen Erkundungszügen zu erholen, bei denen immer das fehlte, was ich mir vorher erträumt hatte. Ein zutiefst vertrautes Nachglühen nämlich, Arm in Arm und vollkommen entspannt. Dieses Gefühl wollte ich erst erleben, bevor ich weitere Körpereroberungen unternahm. Daniel schmollte, ich stellte auf Durchzug und heute denke ich, unsere Beziehung hätte länger gehalten, wenn ich eines dieser Rezepte ausprobiert hätte.
Spätestens bei Lukas gehörte es auch für mich dazu, obwohl ich es erst in einer Vollmondnacht und nach zwei Gläsern Melonenbowle wagte. Ich fand es interessant, vielleicht sogar mehr als das, aber dann umschloss Lukas meinen Hinterkopf und hielt ihn fest, sodass es sich anfühlte wie eine Pflicht und nicht wie eine Kür. Und auch da, das vertraute Nachglühen blieb fern.
Bei Jan wird es anders sein. Ich weiß es genau.
Außerdem schläft er. Wenn hier jemand etwas herausfordert oder entscheidet, bin ich es. Nur ich. So gerne würde ich seinen Gürtel öffnen, seine Hose über seine Hüften streifen und nur noch nackte Haut unter meiner Wange fühlen. Ich möchte ihn ansehen, riechen, schmecken, überall – auch dort. Vielleicht habe ich immer noch einen Sonnenstich, mag sein, aber ich will es. Jetzt will ich es. Sanft streiche ich über den Reißverschluss seiner Jeans, doch er wacht nicht auf, was mich wundert, denn was ich unter meinen Fingern fühle, ist prall und fest, um nicht zu sagen hart.
Geschickt öffne ich seinen Gürtel und den Hosenknopf. Darf ich das denn überhaupt? Ist das nicht Nötigung? Immerhin schläft er, kann nichts dagegen tun. Doch genau in dem Moment, als ich es mir anders überlegen will, bekommen meine Hände Hilfe – von seiner rechten, die den Reißverschluss öffnet, die Shorts ein Stückchen nach unten schiebt und dann daneben liegen bleibt, wartend und ruhig, aber sicher nicht schlafend. Also ist der ganze Kerl wach. Ich rücke noch etwas näher, schließe die Augen, nur für ein paar Sekunden, um in mich hineinzuhorchen, ob ich das auch wahrhaftig will. Doch dann reagiert mein Körper von alleine, ohne dass ich es steuern kann. Ich ziehe die Shorts mit den Zähnen komplett herunter, schmiege meine Wange an ihn und reibe sie an seiner heißen, samtigen Haut, muss lächeln, als ich spüre, wie er sich mir
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