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Vor uns die Nacht

Vor uns die Nacht

Titel: Vor uns die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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entgegendrängt, mich beinahe stupst.
    Jan liegt da wie erschlagen, berührt mich nicht, aber das muss er nicht, denn alles, was ich tun und spüren will, geschieht bereits. Neckend kitzle ich ihn mit meiner Zunge, es gefällt mir, ich mag den Geruch und Geschmack, als ich tief einatme und mich entspanne. Und ganz besonders mag ich, wie Jan darauf reagiert. Er keucht auf, als würde ich ihn quälen. Aus einem träumerischen Instinkt heraus nehme ich seine Hand in meine und führe sie dazu, bis er versteht und sich langsam zu streicheln beginnt, während ich ihn immer wieder liebkose, mit meinen Lippen, meinem Mund, meiner Zunge, ohne dass es mich jegliche Mühe und Anstrengung kostet – und erst recht keine Überwindung. Es berührt mich zu sehen, wie er sich berührt. Er tut es viel rücksichtsvoller und zärtlicher, als ich es mir je vorgestellt habe.
    »Gott, Ronia, das ist so schön …«
    Mit einem bedauernden Stöhnen ziehe ich mich zurück, krieche zu ihm nach oben und küsse ihn auf Wange und Mund, der einen fast schmerzlichen Zug angenommen hat.
    »Denk an mich …«, wispere ich in sein Ohr, schnappe mir meine Jeans, ziehe sie mir im Gehen über, springe wie ein junges Reh durch den mattblauen Auwald, in dem es überall flüstert und raschelt und rauscht – und bleibe erst wieder stehen, als ich mein dunkles, kühles Zimmer erreicht habe.
    Ich habe es gefühlt. Als er kam. Kurz vor den Toren der Stadt hat mich etwas zum Schwanken und Flimmern gebracht, wie das Wärmeschild einer übergroßen Flamme, die vor mir aus den Sternen fiel, und ich habe, ohne zu wollen, seinen Namen gesagt.
    Jetzt ist es vorbei. Ja, für heute ist es vorbei.
    Eine Weile liege ich starr und still auf dem Bett und warte ab, ob mich noch etwas erreicht, ein Nachbeben, irgendein Zeichen, dass es auch für ihn schön war. Doch nach einigen leblosen Minuten ziehen nur ein paar beschwipste Frauen am Haus vorbei, klackende Absätze und lautes Gelächter, sodass ich erst glaube, mich zu irren, als mein Handy in der Nachttischschublade verhalten piepst.
    Das war der Messenger-Signalton. Es ist Jan! Jan hat mir geschrieben. Mein Körper schwankt, als ich mich aufsetze, es aus der Schublade ziehe und das Display anschalte.
    »Mach das nie wieder, okay!?«
    Ein paar Sekunden lang bleibe ich mit offenem Mund sitzen und kann den Schmerz in mir nicht fassen. Es war wieder verkehrt. Ich habe es wieder vermasselt, wieder irgendwas falsch gemacht. Es schien doch alles gut zu sein, währenddessen hat er sogar gesagt, dass er es schön findet, und doch … Aber die anderen hatten auch gesagt, dass sie es schön fanden, und trotzdem Schluss gemacht. Es bedeutet nichts.
    Doch dann sehe ich, dass er erneut schreibt, und warte zitternd auf seine Antwort. Hoffnung ist eine solch machtvolle Kraft.
    »… alleine im Dunkeln über die Brücke auf die andere Seite gehen, meine ich. Warte nächstens, bis ich (mit)komme. Gute Nacht & süße Träume.«
    Ich weine und lache gleichzeitig, erleichtert und verstört, beruhigt und voller Angst, wach und müde, und kann nur ein kryptisches »Danke« zurücksenden, bevor ich mich ein zweites Mal an diesem Abend aus meiner Jeans schäle und unter die Decke krieche, wo ich wieder nicht schlafen werde, doch dafür glücklich sein.
    Ja, heute Nacht werde ich glücklich sein.

Kristalle aus Eis
    H eute ist aber nicht Karfreitag, oder?«, versuche ich die angespannte Stille mit einem Witz zu durchbrechen, der so ungeschickt wie taktlos ist. Die Atmosphäre ist weitaus drückender als an Karfreitag. Denn das Schweigen betrifft mich und nicht Jesus’ Tod am Kreuz, ich spüre es genau und ich weiß nicht, warum ich dermaßen abgestraft werde.
    Ja, in den vergangenen Wochen habe ich meine Samstags- und Sonntagsbesuche im Pfarrhaus nur noch sporadisch und dann gar nicht mehr absolviert, aber es steht nirgendwo geschrieben, dass ich am Wochenende dort erscheinen muss. Das hatte sich nach meinem Semi-Einzug in Jonas’ Wohnung einfach so eingependelt; unter der Woche Studium, am Wochenende Familie, Hilfsdienste in der Kirchengemeinde und Freunde. Aber wir hatten das nie fest ausgemacht, zu keinem Zeitpunkt habe ich mich dazu verpflichtet. Heute fielen meine SMS und Mamas Anruf samt Einladung fast zeitgleich zusammen. Wobei ich die SMS zugegebenermaßen aus egoistischen Gründen abgesendet hatte, weil ich immer noch nicht die Sache mit dem Auslandsaufenthalt geklärt habe und mich dringend ablenken muss, um nicht an meinen

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