Vor uns die Nacht
vorlegen könnte. Es bleibt immer noch reichlich übrig, was gegen ihn sprechen würde, und für meine Eltern wäre auch der Modeljob inakzeptabel. Selbst wenn alles gut und er vorzeigbar wäre – ich würde es nicht wollen. Das gäbe unnötigen Druck. Mitwisser und Beobachter stören mich nur. Ich möchte das Schöne, das ich mit ihm erlebe, nach wie vor nicht teilen.
Also versuche ich, das schlechte Gewissen Johanna gegenüber zu ignorieren, ziehe mir meine Laufmontur über, packe die anderen Sachen, eine Wasserflasche und ein paar feuchte Tücher in meinen leichtesten Rucksack und schleiche mich aus der Wohnung.
Der Umweg kostet mich ein paar Minuten zusätzlich und es ist so warm, dass ich bereits nass geschwitzt bin, als ich das Gebüsch unterhalb der Brücke erreicht habe. Wie ein Sittenstrolch sehe ich mich nach allen Seiten um, bevor ich mich hinter einen dichten Strauch zurückziehe und in Windeseile die Laufhose, das Shirt und zu guter Letzt auch meinen Slip von meiner feuchten Haut streife. Jetzt noch schnell eine zusätzliche Sicherheitsreinigung mit den Tüchern, etwas Deo unter die Achseln, Füße überprüfen … oh verdammt. Ich mache mich hier zum Narren. Es ändert nichts, dass mich niemand beobachtet – ich beobachte mich und das ist beschämend genug. Außerdem fällt mir beim hektischen Umpacken siedend heiß ein, dass ich mein Smartphone zu Hause vergessen habe. Es liegt in meinem Zimmer in der Nachttischschublade. Was, wenn Jonas weiter Detektiv spielt?
Aber mich jetzt wieder umziehen und zurücklaufen, das Handy holen, erneut von Jonas in ein Verhör verwickelt werden? Nein. Ich vertraue auf Kismet. Es war mir so selten hold, bei dieser Geschichte muss es mir einfach gnädig sein. Auch das Wohlergehen meines Rucksacks muss ich dem Schicksal überlassen, denn ich möchte ihn nicht mitschleppen. Nach einigem Überlegen schiebe ich ihn zwischen zwei dichte Büsche und versuche mir die Stelle zu merken – darin bin ich gut. Als Kind wusste ich auch nach drei Sommern immer noch genau, wo im Garten ich meine Schätze verbuddelt hatte. Zur großen Verwunderung meiner Eltern konnte ich sie stets auf den Zentimeter genau orten. Sie waren der Meinung, dass die Erde arbeitete und die Schätze verschlinge. Vielleicht hatte ich ein Gespür für sie, wie ein menschlicher Metalldetektor. So bekam Oma ihren geliebten Mondsteinring, den ich aus ihrer Schmuckschatulle stibitzt und heimlich unter dem Kirschbaum vergraben hatte, im nächsten Jahr mit großem Hallo zurück. Es wird mir keine Mühe machen, auch den Rucksack wiederzufinden. Nur mein Benehmen ist mir unsagbar peinlich und dieses Gefühl wird nicht besser, als ich die Brücke erklimme und wieder einmal Fahrradfahrer zum hektisch warnenden Klingeln motiviere.
Die Sonne beginnt zu stechen, die Luft wird immer schwüler und scheint an Sauerstoff zu verlieren. Als ich die Hälfte des Weges zurückgelegt habe, muss ich eine Pause machen. Es fällt mir schwer, klar zu denken, auch meine Fingerkuppen kribbeln warnend. Mich verwundert es nicht, dass mein Kreislauf sich danebenbenimmt. Ich habe heute kaum etwas gegessen und getrunken, da ich nie weiß, wie lange meine Jogging-Unternehmungen dauern, und erst recht nicht, ob eine Toilette in der Nähe sein wird. Jetzt bekomme ich die Quittung dafür und meine neu aufwallende Nervosität der vergangenen zwei Nächte gesellt sich fröhlich dazu. Ich versuche, mich mit dem Blick auf das vorüberziehende Flusswasser zu beruhigen, doch das Kräuseln der Wellen verstärkt das Schwindelgefühl in meinem Kopf nur.
Ist das eigentlich noch schön? Diese zerreißende Anspannung und das Nichtwissen – ist es das wert, ihm zu begegnen? Wäre mein Leben nicht ausgeglichener und ruhiger und würde es meinem Stolz nicht besser bekommen, wenn ich umkehren und wie die vergangenen Jahre zu Johanna fahren würde?
Aber selbst wenn noch gar nicht viel passiert ist – das wenige, was ich mit Jan erlebt habe, übertrifft alles Bisherige. Ich wäre eine Idiotin, wenn ich das wegen ein wenig Herzklopfen und Unsicherheit wegwerfen würde. Vor allem aber haben wir keine Beziehung miteinander und deshalb kann er auch nicht Schluss machen. Davor muss ich keine Angst haben. Wir stehen ganz am Anfang und bisher habe ich nichts eingefordert, dessentwegen er mir einen Strick drehen könnte. Es ist alles offen.
Während ich mir diese Argumente wie Mantras vorbete, wird mein Atem allmählich ruhiger und die Verkrampfungen in meinem
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