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Vor uns die Nacht

Vor uns die Nacht

Titel: Vor uns die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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bin nur noch entsetzlich müde. »Ich bin auch nicht mit ihm zusammen, denk das bloß nicht. Das will ich überhaupt nicht. Da läuft nix.«
    Jonas schaut mich nur an, wartet still und mit neutralem Blick ab, als wolle ich noch etwas hinzufügen. Und je länger er das durchzieht, desto mehr habe ich das Bedürfnis, mich zu erklären.
    »Es ist nicht so wie früher, ehrlich! Es ist anders. Ich hab dazugelernt. Glaub mir.«
    Obwohl er mich immer noch ansieht wie ein Sachobjekt, fern und unberührt, weiß ich, dass er mir nicht glaubt. Dabei möchte ich tatsächlich keine Beziehung mit Jan – ich kann mir das nicht vorstellen. Mich mit ihm zu verabreden. Vor dem Einschlafen zu telefonieren und sich nette Sachen zu sagen. Hand in Hand durch die Stadt zu laufen. Zusammen in den Urlaub zu fahren. Ich möchte niemals mein Köfferchen in seinen Flur stellen. Das ist ein Bild, bei dem es mir graut. Seine Wohnung soll so bleiben, wie sie ist, ohne eine Zahnbürste von mir im Bad und meinen Socken in seinem Bett. Das ist keine Lüge, es ist die Wahrheit. Ich will ihn freilassen. Ich weiß nur nicht, ob ich es kann. Vielleicht kann ich es einfach nicht und scheitere an meinen eigenen Wünschen.
    »Ich mache mir Sorgen um dich, Mäuschen. Ehrlich. Deine Eltern auch. Und Josy …«
    »Das mit Josy kommt wieder in Ordnung, bestimmt!«
    Jonas’ Lippen werden dünn, doch selbst verkniffen ist sein Gesicht noch hübsch und lieb. »Durch den Streit mit deinen Eltern und dein Verhalten ihr gegenüber nimmst du ihr ihre Familie. Ist dir das eigentlich klar?«
    Ja, ich weiß das. Es ist nicht fair, dass ich das zulasse. Unser Haus war Johannas Hafen gewesen und meine Eltern wie ihre Eltern. Ihr Vater ist abgehauen, bevor sie ins Gymnasium kam, und irgendwie konnten wir ihn verstehen, denn ihre Mutter hat nur ihre Ausstellungen und Vernissagen und ihr Atelier im Kopf. Manchmal vergaß sie sogar einzukaufen, sodass Johanna ausgehungert in die Schule kam, weil nichts zum Frühstücken im Haus war. Aber Zigaretten, Leinwände und Farben gab es stets genug. Meinetwegen blieb Johanna auch nach dem Abi dort, zwar in ihrem eigenen Stockwerk und mit einer eigenen Küche, sodass die Gefahr des Verhungerns gemindert werden konnte, aber immer noch den diversen Verrücktheiten ihrer Mutter ausgeliefert, die hin und wieder zweitägige Partys feiert und ständig einen anderen Mann in ihr Bett schleppt. Josy wird zu loyal sein, um den Streit mit meinen Eltern zu ignorieren und trotzdem zu ihnen zu gehen. Wenn unsere dauergeöffnete Pfarrhaustür für irgendetwas gut war, dann für sie.
    »Jonas, ich bin einundzwanzig. Ich kann nicht ewig so tun, als wäre ich noch ein Kind, und auch Johanna ist erwachsen.«
    »Tut mir leid, ihr seid beide nicht sehr erwachsen. Es war doch bisher in Ordnung, warum ist es das jetzt nicht mehr?«
    Durch meine zurückkehrende Ruhe trocknet der Schweiß auf meinem Bauch und meinem Rücken und mir wird unangenehm kalt. Rhythmisch reibe ich mit meinen klammen Händen über meine Arme.
    »Ja, es war in Ordnung, aber es war auch immer das Gleiche.« Was für Josy vermutlich ein Segen war. Wenigstens ein bisschen Regelmäßigkeit und Rituale. »Wenn ich mir vorstelle, dass das immer so weitergeht, dann …« Ratlos breche ich ab. Es war wirklich in Ordnung, doch manchmal hatte ich nachts wach gelegen, mit einem unbestimmten Sehnen und Fernweh im Leib, und es zog mich weit, weit weg. Ich wusste nur nicht, wohin. Ob es Jans Arme waren? Ahnte irgendetwas in mir, dass ich ihm begegnen würde? Obwohl unser Zusammentreffen reiner Zufall war, kommt es mir schicksalsträchtig vor und auch deshalb will ich nicht aufgeben. Ich möchte ihn freilassen und dennoch … was? Lieben? Liebe ich ihn? Oder liebe ich mich, wenn wir zusammen sind?
    »Ich hoffe und bete, dass du wieder zu uns zurückfindest, Ronia. Und jetzt geh duschen, bevor du dir eine Erkältung einfängst. Kann ich dich alleine lassen? Ich habe noch eine Verabredung zum Abendessen.«
    Gleichgültig zucke ich mit den Schultern, doch nun gesellen sich zu den Dolchen und Schwertern in meinem Herzen auch noch ein paar fiese Hornissenstiche. Eine Verabredung, oho. Jonas geht aus und sagt mir nicht, mit wem. Das ist neu – und ein billiger Versuch, mich aus der Reserve zu locken? Das wird ihm nicht gelingen. Früher allerdings hätte er mich in diesem Zustand niemals alleine gelassen. Außerdem hätte er mich in seine Arme genommen, um mich zu trösten. Das waren doch die besten

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