Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vor uns die Nacht

Vor uns die Nacht

Titel: Vor uns die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
und starre Löcher in die Luft – oder auf den Messenger. Noch nie in meinem Leben habe ich Drogen ausprobiert, aber jetzt bin ich süchtig nach einem sozialen Netzwerk. Ich hasse es. Ich hasse mich, wenn ich so bin. Und doch kann ich nicht anders.
    Trotzdem liegt Jonas falsch. Jan hat mir nichts getan. Er hat nur eine kurze Nachricht gesendet. Mein Herz hatte zu stolpern begonnen und mir wurde so heiß, dass ich mir beinahe mitten im Museum das T-Shirt vom Leib gerissen hätte. Doch dann rasten all die Messer und Dolche in mein Herz.
    »Ich kann heute Abend nicht. Fußball. Bin halt ein Mann. ;-)«
    Das war alles. Bin halt ein Mann. Ja, genau, das bist du, Jan, und ich glaube, es wird ernsthaft Zeit zu überlegen, ob man mit Frauen nicht vielleicht mehr Freude im Leben hat. Fußball! Er verzichtet auf ein Date mit mir wegen eines Fußballspiels! Er hat offenbar keine Eile, mich zu sehen, also hat er auch keine Sehnsucht. Womöglich bin ich nur eine von vielen und es ist gleich, ob ich freitags joggen gehe oder nicht. Das würde ja auch zu seinem Ruf passen, sagen sie das nicht alle? Dass er schlecht mit Frauen umgeht und dauernd neue Weibergeschichten am Laufen hat? Aber selbst wenn nicht: Was hab ich falsch gemacht, damit er mich nicht so sehr will, dass ein Fußballspiel als unbedeutend abgehakt wird?
    Nein, stopp. Das sind Mädchengedanken. Nicht die einer erwachsenen, freien Frau. Es gibt keinen Grund, zu weinen oder sich aufzuregen, es hat niemand Schluss gemacht, nach wie vor ist alles offen. Jan schaut nur Fußball, das ist sein gutes Recht. Was aber tut mir dann so weh, was macht mich so zornig? Warum diese schrecklichen, beißenden Zweifel? Nun wird Jonas’ Schweigen unerträglich. Ich weiß, worauf er wartet – dass ich meine Lider hebe und ihn anschaue. Aber das kann ich nicht.
    »Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Ich hab Angst.«
    Jonas atmet gepresst aus – jetzt berührt es ihn. Denn es ist die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll, nicht heute, nicht morgen, nicht mein ganzes Leben – wenn ich Jan nicht wiedersehe. Ich kann es mir nicht vorstellen. Und was ich mir nicht vorstellen kann, jagt mir eine Angst ein, die ich mit Worten nicht beschreiben kann.
    »Es geht immer irgendwie weiter, Ronia. Immer. Wegen der Wohnung musst du dir keine Gedanken machen. Ich kann die Miete auch alleine zahlen. Das ist kein Problem.«
    »Aber mein Studium …«, werfe ich heiser ein. Der Boxsack schwingt immer noch sanft klickend hin und her, ansonsten ist es so still geworden, dass ich mein Herz schlagen höre. Jonas baut geschickt die Simcard aus dem kaputten Handy. Dann geht er zu seinem Nachttisch, holt sein altes Handy aus der untersten Schublade und setzt sie dort ein.
    »Kannst auch mit dem Ding ins Internet. Nur das mit den Apps wird nicht funktionieren. Braucht aber niemand. Und wegen deiner Eltern – ich hab dich nicht verpfiffen. Das ist nicht meine Art.«
    Er spricht nicht aus, was deutlich zwischen seinen Zeilen schwebt: dass er es die ganze Zeit gewusst hat. Er wusste, dass ich mich mit Jan treffe. Vermutlich wäre er ein mieser Polizist, wenn er für so etwas kein Gespür hätte. Mit hängendem Kopf nehme ich das Handy entgegen und murmele ein »Danke«, bevor ich auch das Taschentuch aus seiner Hand ziehe und mir die Nase putze. Ich bin fix und fertig. Morgen werde ich vor Muskelkater kaum laufen können. »Wer hat es denn dann getan?«
    »Ich tippe auf Frau Kehrlein. Sie führt neuerdings den Pudel von Herrn Stieber aus. Er hat sich doch den Fuß gebrochen. Du weißt, dass Frau Kehrlein ein Radar für alles hat, was nicht comme il faut ist. Ich denke, sie wird dich gesehen und es erzählt haben. Und wenn nicht, wir leben in einer Kleinstadt, Ronia. Hier kannst du so was nicht bringen.«
    »Was genau denn überhaupt? Was kann ich nicht bringen? Kennst du ihn? Du hast ein paar Notizen und Akten über ihn, ja, aber was sagt das über einen Menschen aus?«, verteidige ich Jan erneut, ohne dass ich es will. Wie bei meinen Eltern sprudelt es aus mir heraus, bevor ich etwas dagegen tun kann. Dabei bin ich gerade stinksauer auf ihn. Verdient hat er das nicht.
    »Mir reicht es zu sehen, wie du dich veränderst und dich immer mehr in deinen Panzer zurückziehst. Mehr muss ich nicht wissen.«
    »Das ist aber nicht wegen ihm!«, beginne ich erneut zu lügen, stehe aber wie Jonas auf – jetzt geht es wieder. Das Zittern in meinen Beinen hat nachgelassen. Ich

Weitere Kostenlose Bücher