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Vor uns die Nacht

Vor uns die Nacht

Titel: Vor uns die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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ist gut. Nicht nur in diesem Augenblick, sondern von Grund auf und immer. Es kann gar nicht anders sein. Jedes meiner Gefühle hat seinen festen, unverrückbaren Sinn in diesem Spiel.
    Doch das Wüten der Elemente zeigt keine Rücksicht auf Liebende. Zeitgleich mit dem ersten Donnerschlag vor dem geöffneten Fenster fährt ein Krampf in meine linke Wade und das Denken zurück in meinen Kopf. Sofort reflektiert mein Gehirn ungefragt, was ich nur Sekunden vorher durchlebt habe. Ich hatte einen Orgasmus, beim Sex mit einem Mann. Nicht alleine, wie sonst immer, und auch nicht gespielt – nein, er war echt und im selben Moment. Doch Jan … entfernte sich dabei. Er kam nicht in mir. In letzter Sekunde hat er sich zurückgezogen. Das ist in Ordnung, sage ich mir, er geht auf Nummer sicher, trotz Kondom, ich muss ihm das anrechnen. Er passt auf. Und das, was vorher war, ist so gewaltig, dass selbst die Schmerzen in meinem Bein nicht zu mir vordringen und auch das kurze, störende Gefühl über die Getrenntheit im letzten intensiven Moment rasch wieder verfliegt.
    »Alles okay?« Er hält mich immer noch bei sich und wirkt nicht, als wolle er in der nächsten Minute einschlafen oder duschen oder Fußball gucken. Jetzt legt er sogar den Kopf auf meine Brust, eine Geste, die mir vertrauensvoller vorkommt, als ich verkraften kann.
    »Ja. Nein, ich hab einen Krampf im Bein.« Sobald ich es ausgesprochen habe, bin ich wieder empfänglich für Zipperlein. Höhepunkte und Lustwirbel hin oder her – ich hab grauenvolle Schmerzen in der Wade. Verdammt, tut das weh. Stöhnend umfasse ich meine Zehen und ziehe sie zu mir, doch dieses Mal hilft es nicht, und die leise Scham darüber, dass ich mich dabei in einer denkbar unerotischen Pose befinde, scheint dem Krampf nur neues Futter zu verleihen. Hilfsbereit krabbelt Jan runter zu meinen Füßen und packt mit an – was meine körperliche Ausfallserscheinung zweifellos gleich noch entwürdigender werden lässt.
    »Zu wenig getrunken? Hab das manchmal nach dem Gewichtestemmen, Muskelkrämpfe. Dir fehlt vermutlich Magnesium, musst du dir zuführen, wenn du so viel läufst.«
    »Oh Gott, ist das peinlich …«
    »Ach Quatsch, wieso denn das? Hast ja grad die Erdanziehungskraft überwunden, das raubt Kraft.« Er grinst mich charmant an, während er sanft über meine verhärteten Wadenmuskeln streicht und ich platt wie eine Flunder vor ihm liege. »Die sind ja wirklich so zart …« Staunend betastet er meine Fußsohlen. »Wahnsinn, sind die zart.«
    »Ist besser, danke«, vermelde ich abwehrend, während ein weiterer Donnerschlag die Wände erzittern lässt und draußen der Regen zu rauschen beginnt. Ich möchte ihn neben mir haben, Kopf an Kopf, Lippen an Lippen, und mir irgendwelche Geschichten aus seiner Jugend anhören. Ach, was heißt aus seiner Jugend, er ist doch noch mittendrin … dann eben aus seiner Kindheit. Von seinen Eltern oder Geschwistern und Haustieren.
    Mit einem geplagten, aber auch rundherum selbstgefälligen Seufzen kommt Jan auf Augenhöhe, legt jedoch nur nachlässig seine rechte Hand auf meinen linken Schenkel, nachdem er sich neben mir ausgestreckt hat. Draußen ist das Sommergewitter in sein tosendes Finale übergegangen; die Donnerschläge entfernen sich nach und nach, doch der Regen prasselt, als würden winzige Kristalle vom Himmel stürzen.
    Als ich Jan mit dem Handrücken über den Bauch streiche, zuckt er zusammen, eine Reaktion, als habe ich ihn gekitzelt.
    »Sorry, bin danach immer ziemlich empfindlich.« Trotz des »Sorry« klingen seine Worte nicht wie Bedauern oder eine Entschuldigung; sie sind lediglich eine Erklärung – er setzt Grenzen. Bisher war ich immer diejenige, die das getan und damit dem Gegenüber ein schnelles und schuldloses Einschlafen ermöglichte. Mich nun in der anderen Rolle zu befinden, nimmt mir beinahe die Fassung. Jan ist ein postkoitales Sensibelchen, braucht anschließend Luft und Raum für sich? Ich kann es verstehen, sehr gut sogar, aber ich weiß nicht, wohin mit meinen Händen. Sie wollen bei ihm sein, immer noch, sie haben nicht genug. Ich bin überhaupt nicht satt.
    »Ich hab Hunger. Mein Bauch knurrt.« Jan löst unsere letzte verbliebene Verbindung und streicht sich über seinen wohlgeformten, aber unaufdringlichen Sixpack. Erst jetzt habe ich die Muße, mir seinen Körper genauer anzusehen, doch er will ihn mir schon wieder entziehen. »Ich glaub, ich mach mir noch ein paar Brote. Magst du auch was?«
    »Nein.

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