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Vor uns die Nacht

Vor uns die Nacht

Titel: Vor uns die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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der einzige Sonntag – denn ich weiß wirklich nicht, wie ich es anstellen soll, alle weiteren Treffen wieder dem Zufall oder meinem größenwahnsinnigen Mut zu überlassen. Es hätte fürchterlich in die Hose gehen können, und je weiter der Abend zurückliegt, desto mehr Fragen suchen mich heim. Ich könnte ganze Bücher damit füllen und jede Frage gebiert mindestens fünf neue. Unter Gewalt muss ich mich dazu zwingen, sie nicht ständig zu drehen und zu wenden, um endlich jene Antworten zu finden, die mich von jetzt an für immer beruhigen können.
    Denn diese Antworten gibt es in mir nicht.
    All meine Fragen lassen sich nur klären, wenn ich sie Jan direkt stelle und die Reaktion aushalte. Nicht schriftlich, sondern vis-à-vis, und zwar ernsthaft, ohne Spielereien und erotische Eskapaden. Würde ich es verkraften, wenn ich erführe, dass ich nicht so gut war wie erhofft oder eine von mehreren bin? Würde ich es aushalten, wenn er mir klipp und klar sagen würde, dass er nur Sex will und sonst nichts? Dass ich mir das, was über allem schwebte, nur eingebildet habe und er mich zwar attraktiv findet, aber sich nicht genauer mit mir befassen will?
    Es ist ohnehin idiotisch, derlei Fragen zu stellen, denn ich selbst will ja gar nichts anderes als ein paar schöne Stunden zu zweit. Wir sind auf einem Level. Das mit diesem starken, reinen Gefühl der Liebe muss der Hormonrausch verursacht haben, rede ich mir jeden Morgen und jeden Abend ein. So etwas kann passieren. Sein Körper signalisiert durch seine Duftstoffe meinem Körper, dass es eine ideale Vermischung von Genmaterial ergäbe und damit starke, überlebensfähige Nachkommen, wenn wir uns paaren, und das erzeugt eine Illusion der Liebe. Ich kann ihn gar nicht lieben, denn ich kenne ihn nicht. Wenn ich vernünftig über ihn nachdenke, bin ich eher von Zorn und Gereiztheit erfüllt als von liebevollen Gefühlen.
    Doch am größten ist der Wunsch, nichts zu problematisieren oder zu fordern, denn das bietet mir selbst die größte Sicherheit – aber auch ihm. Ich will nicht diejenige sein, die an ihm zerrt und ihn einengt. Niemals darf er dazu veranlasst werden, solche Dinge über mich zu sagen, wie andere es getan haben. Ich will keine Klette werden.
    Nein, es ist besser, wenn ich diese Fragen für mich behalte und hoffe, dass sie mit der Zeit weniger und schwächer werden. Es ist schnell gegangen – wir haben es getan, aber all die Dinge, die ich mir vorher in aller Ruhe und Sinnlichkeit ausgemalt hatte, sind nicht passiert. Ich wollte ihn eigentlich vom Scheitel bis zur Sohle verwöhnen, bis er fast den Verstand verliert vor Lust und Begehren. Oder mit ihm unter die Dusche steigen. Mit ihm baden. Ja, zusammen baden wäre schön … Irgendetwas, was Zeit braucht und mir die Möglichkeit gibt, es auszudehnen, um satt zu werden und ruhen zu können.
    Ist er nicht verrückt nach meinen Füßen? Er hat sie nur scheu berührt und gesagt, wie zart sie sind – das kann nicht die Erfüllung seiner Fantasien gewesen sein. Da verwundert es mich, dass ich von Tag zu Tag unruhiger werde? Sachlich betrachtet haben wir erst Schritt Nummer eins getan und es sind unendlich viele andere übrig. Ich sollte mich darüber freuen.
    Doch meinen Theorien fehlt jeglicher Stolz, jede Haltung. Ich habe das Gefühl, mich aufzulösen. Manchmal weiß ich nicht mehr, wer ich bin. Ich weiß es nur dann, wenn ich ihm nahe bin, und ich habe Verstand genug, um zu wissen, dass es so nicht sein sollte. Trotzdem ist immer noch diese irrige Idee in mir, dass ich Sicherheit gewinne, wenn wir uns nur oft genug begegnen und ich jedes Mal Gründe dafür sammeln kann, warum ich für ihn einzigartig bin.
    Diese Woche ist es wieder der Freitag, der mich zu ihm treibt, denn morgen Abend muss ich arbeiten und außerdem … Oh nein. Alarmiert halte ich inne und lausche in mich hinein. Das habe ich mir nur eingebildet, oder? Dieses kurze Ziehen im Bauch? Ich hatte es heute schon am See, während meines bemitleidenswerten Ein-Frau-Badeausfluges, der nur eine halbe Stunde dauerte, weil mir schwindelig von der Sonne wurde. Es ist bestimmt nur die Aufregung. Wie so oft. Es kann gar nicht sein, ich sollte nicht darauf achten.
    Als ich die Bodybutter zurück ins Regal stelle und mich aufrichte, gesellt sich ein Gefühl dazu, das in seiner Deutlichkeit unmissverständlich ist.
    »Bitte nicht«, flüstere ich. Doch Betteln hilft nichts. Ich muss nachsehen, ob ich mit meiner Vermutung richtigliege. Schnell ist das

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