Vor Vampiren wird gewarnt
sehen?«, fragte ich hoffnungsvoll. »Er wohnt jetzt nämlich bei mir, nur vorübergehend, und kommt bald nach Hause.«
»Ich bin nicht der Einzige, weißt du«, sagte Dermot. Ich blickte auf und sah ihm direkt in die irren Augen. Mein Großonkel versuchte, mir irgendetwas zu sagen, das verstand ich. Herrgott, wenn ich ihm doch nur etwas mehr Vernunft einimpfen könnte. Nur für fünf Minuten. Ich trat einen Schritt zurück und versuchte zu erraten, wovon er sprach.
»Ja, du bist nicht der einzige Elf, der in der Welt der Menschen lebt. Claude ist auch noch hier. Gibt's sonst noch wen?« Jetzt wäre meine Telepathie doch wirklich mal praktisch gewesen.
»Ja. Ja.« Sein Blick bat mich inständig, ihn doch zu verstehen.
Ich riskierte eine ganz direkte Frage. »Wer sonst lebt noch auf dieser Seite der Elfenwelt?«
»Du willst ihm nicht begegnen«, versicherte Dermot mir. »Du musst vorsichtig sein. Er kann sich im Augenblick nicht entscheiden. Er ist ambivalent.«
»Okay.« Wer immer dieser »er« auch sein mochte, der Einzige mit gemischten Gefühlen war er nicht. Wenn ich nur gewusst hätte, wie Dermots Kopf zu knacken war.
»Manchmal ist er in deinem Wald.« Dermot legte mir die Hände auf die Schultern und drückte sie sanft. Es war, als versuchte er, mir Dinge zu vermitteln, die er mir nicht direkt sagen konnte.
»Hab ich schon gehört«, erwiderte ich säuerlich.
»Vertrau keinem Elfen«, riet Dermot mir. »Ich hätte es auch nicht tun sollen.«
Plötzlich war mir, als schwebte eine riesige Glühbirne über meinem Kopf. »Stehst du unter dem magischen Bann von irgendwem, Dermot? Hat dich jemand verhext?«
Die Erleichterung in seinen Augen war beinahe greifbar. Er nickte ungestüm. »Solange sie nicht Krieg führen, töten Elfen ungern andere Elfen. Außer Neave und Lochlan. Sie haben gern getötet, alles. Aber ich bin nicht tot. Also gibt es noch Hoffnung.«
Elfen töteten vielleicht nicht gern Angehörige ihres eigenen Volkes, aber sie hatten offenbar nichts dagegen, sie mit Irrsinn zu schlagen. »Kann ich irgendetwas tun, um diesen Fluch rückgängig zu machen? Kann Claude helfen?«
»Claude hat kaum noch magische Kräfte, glaube ich«, sagte Dermot. »Er lebt schon zu lange wie ein Mensch. Meine liebe Nichte, ich liebe dich. Wie geht es deinem Bruder?«
Jetzt waren wir wieder im Land des Irrsinns. Gott schütze den armen Dermot. Einer spontanen Regung folgend, umarmte ich ihn. »Mein Bruder ist glücklich, Onkel Dermot. Er hat eine Freundin, die gut zu ihm passt und sich von ihm nichts bieten lässt. Sie heißt Michele - wie meine Mom, aber nur mit einem l statt mit zweien.«
Dermot lächelte mich an. Schwer zu sagen, wie viel von all dem er begriff.
»Tote Wesen lieben dich«, sagte Dermot, und ich zwang mich, immer weiter zu lächeln.
»Eric der Vampir? Ja, das sagt er jedenfalls.«
»Auch andere tote Wesen, sie zehren an dir.«
Das war eine nicht so willkommene Enthüllung. Aber Dermot hatte recht. Wie immer spürte ich Eric über unsere Blutsbande, doch jetzt waren die ganze Nacht lang auch noch zwei andere graue Schatten bei mir: Alexej und Appius Livius. Es erschöpfte mich, und das war mir bis zu diesem Augenblick noch nicht einmal klar geworden.
»Heute Nacht«, sagte Dermot, »bekommst du Besuch.«
Jetzt war er also auch noch Prophet. »Nette Leute?«
Er zuckte die Achseln. »Das ist eine Frage von Geschmack und Vorliebe.«
»Bist du eigentlich oft auf meinem Land unterwegs, Onkel Dermot?«
»Zu viel Angst vor dem anderen«, sagte er. »Aber ich versuche, ein wenig auf dich aufzupassen.«
Ich dachte noch darüber nach, ob das nun gut war oder schlecht, als er plötzlich verschwand. Einfach so. Puff! Ich sah noch einen Schemen und dann nichts mehr. In einem Moment lagen seine Hände auf meinen Schultern, im nächsten nicht mehr. Die Anspannung, mit jemand anderem zu reden, war Dermot vermutlich zu viel geworden.
Junge. Das war ja richtig, richtig unheimlich gewesen.
Ich sah mich um, ob ich irgendeinen anderen Hinweis auf ihn entdecken konnte. Vielleicht kam er sogar noch mal zurück. Aber nichts geschah. Außer dem prosaischen Knurren meines Magens, der mich daran erinnerte, dass ich zum Lunch nichts gegessen hatte und es höchste Zeit fürs Abendessen war, war nichts zu hören. Auf zittrigen Beinen ging ich ins Haus und sackte am Küchentisch zusammen. Gespräch mit einem Spion. Interview mit einem irren Elfen. Oh, ja, ruf Jason an und sag ihm, dass er wieder Elfen-Wache
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