Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vor Vampiren wird gewarnt

Vor Vampiren wird gewarnt

Titel: Vor Vampiren wird gewarnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
Vom Netzwerk:
seelischen Verfassung für ein Gebet. Ein Gespräch mit Gott ist eben etwas anderes als eine Glückspille, die man einfach schluckt - etwas ganz anderes.
    Ich zog ein Kleid und Sandalen an und ging zum Grab meiner Großmutter. Meine Zwiegespräche mit ihr erinnerten mich immer daran, wie besonnen und weise sie gewesen war. Heute konnte ich an nichts anderes denken als an ihre für sie enorm untypische Affäre mit einem Halbelfen, deren Ergebnis mein Vater und seine Schwester Linda gewesen waren. Meine Großmutter hatte (vielleicht) nur deshalb Sex mit einem Halbelfen gehabt, weil mein Großvater keine Kinder zeugen konnte. Es war eben ihr Weg, schwanger zu werden und Kinder zu kriegen, zwei Kinder, die sie mit Liebe aufgezogen hatte.
    Und sie hatte beide zu Grabe getragen.
    Als ich bei ihrem Grabstein kauerte und das Gras auf dem Grab betrachtete, das immer dichter wurde, fragte ich mich, ob das irgendetwas zu bedeuten hatte. Man könnte behaupten, dass meine Großmutter etwas getan hatte, das sie nicht hätte tun sollen ... um etwas zu bekommen, das sie nicht bekommen sollte... und nachdem sie es bekommen hatte, verlor sie es auf die schmerzlichste Weise, die sich nur vorstellen lässt. Was konnte schlimmer sein, als ein Kind zu verlieren? Zwei Kinder zu verlieren.
    Oder man könnte sagen, dass alles, was geschah, reiner Zufall gewesen war. Dass meine Großmutter in dem Moment, als sie sich entscheiden musste, das Beste getan hatte, was sie tun konnte, und dass ihre Entscheidung aus Gründen, die ihrer Kontrolle gänzlich entzogen waren, einfach schreckliche Folgen zeitigte. Ewige Schuld, oder ewige Schuldlosigkeit.
    Man musste doch bessere Entscheidungen treffen können.
    Ich tat das Beste, was ich tun konnte. Ich legte ein Paar Ohrringe an und ging zum Gottesdienst in die Kirche. Ostern war vorüber, aber die Blumen auf dem methodistischen Altar waren immer noch schön. Die Fenster waren geöffnet, weil es angenehm warm war. Im Westen sammelten sich einige Wolken, doch darum musste man sich in den nächsten Stunden keine Sorgen machen. Aufmerksam hörte ich der Predigt zu und sang die Lieder mit, wenn auch nur im Flüsterton, denn ich habe eine fürchterliche Singstimme. Und es tat mir gut. Es erinnerte mich an Großmutter, an meine Kindheit, an den Glauben, an saubere Kleider und Sonntagsessen, gewöhnlich ein Braten mit Kartoffeln und Karotten, den Großmutter in den Ofen schob, bevor wir das Haus verließen. Und einen Kuchen hatte sie auch stets gebacken.
    Es ist nicht immer leicht, in der Kirche zu sitzen, wenn man Gedanken lesen kann, und ich bemühte mich sehr, die der anderen abzublocken und meine eigenen Gedanken zu denken. Ich wollte mich an den Teil meiner Kindheit, an den Teil meiner selbst erinnern, der gut war und freundlich und gewillt, ein besserer Mensch zu werden.
    Nach dem Gottesdienst sprach ich mit Maxine Fortenberry, die wegen Hoyts und Hollys Heiratsplänen im siebten Himmel schwebte, und ich sah Charlsie Tooten mit ihrem Enkel auf dem Arm, und ich redete mit meinem Versicherungsvertreter Greg Aubert, der seine ganze Familie dabeihatte. Seine Tochter wurde rot, als ich sie ansah, weil ich ein paar Dinge über sie wusste, die ihr peinlich waren. Aber ich verurteilte das Mädchen nicht. Wir benehmen uns alle von Zeit zu Zeit daneben. Manche von uns werden erwischt, manche nicht.
    Sam war überraschenderweise auch in der Kirche gewesen. Ich hatte ihn vorher noch nie hier gesehen. Und soweit ich wusste, war er auch nie in irgendeine andere Kirche von Bon Temps gegangen.
    »Freut mich, dich zu sehen«, sagte ich und versuchte, nicht zu verblüfft zu klingen. »Gehst du sonst woandershin oder ist das ein neues Projekt?«
    »Ich dachte, es wäre mal an der Zeit«, meinte er. »Zum einen mag ich die Kirche. Zum anderen kommen schwierige Zeiten auf uns Wergeschöpfe zu. Ich möchte, dass jeder in Bon Temps weiß, dass ich einer von den Guten bin.«
    »Wenn sie das nicht schon wissen, sind sie Dummköpfe«, flüsterte ich und fügte dann lauter hinzu: »Schön, dass wir uns getroffen haben, Sam«, und ging weiter, weil noch zwei andere Leute darauf warteten, mit meinem Boss zu reden. Und so wie ich es verstanden hatte, wollte Sam seine Position in der Gemeinde festigen.
    Den restlichen Tag lang versuchte ich, mir keine Sorgen um Eric oder sonst irgendetwas zu machen. Ich war per SMS von Tara und JB zum Lunch eingeladen worden und froh, nicht allein zu sein. Tara hatte Dr. Dinwiddie noch mal ganz genau

Weitere Kostenlose Bücher