Vor Vampiren wird gewarnt
Betrag noch einmal anzusehen und sicherzugehen, dass ich mich nicht getäuscht hatte.
»Oh.« Tja, ich blieb bei meinem klassischen Ausruf, denn alles andere sprengte gerade meinen Horizont. Ich hatte nicht mal eine Vorstellung davon, was ich mit so viel Geld anstellen sollte. Auch das sprengte gerade meinen Horizont. Ich würde einige Zeit brauchen, bis ich vernünftig über dieses unerwartete Erbe nachdenken könnte.
Ich trug den unglaublichen Scheck ins Haus und legte ihn in eine Schublade, voller Angst, dass er irgendwie abhandenkommen könnte, bevor ich ihn zur Bank brachte. Erst als ich ihn sicher verstaut hatte, dachte ich daran, dass ich ja auch noch einen zweiten Brief bekommen hatte. Er war von Bill.
Ich ging wieder auf die Veranda hinaus, setzte mich in den Schaukelstuhl und trank einen Schluck von meinem Kaffee, der langsam kalt wurde. Dann riss ich den Umschlag auf.
»Liebste Sookie - ich wollte Dich nicht erschrecken und um zwei Uhr nachts an Deine Tür klopfen, deshalb lasse ich Dir diese Zeilen hier, damit Du sie bei Tagesanbruch lesen kannst. Ich hatte mich schon gewundert, warum Du letzte Woche in meinem Haus warst. Denn ich wusste, dass Du da warst, und ich wusste auch, dass ich den Grund früher oder später erfahren würde. Und nun hat mir Deine Großherzigkeit genau die Heilung verschafft, die ich brauchte.
Ich hätte nie gedacht, dass ich Judith noch einmal sehen würde, nachdem unsere Wege sich getrennt hatten. Von ihr weiß ich, dass sie Dir erzählt hat, warum Lorena sie zur Vampirin machte. Lorena hat mich nicht gefragt, ehe sie Judith angriff. Bitte glaube mir das. Ich würde niemals jemanden zu unserem Leben verurteilen, der es nicht selbst will und mich darum bittet.«
Okay, Bill dankte mir also, dass ich mir wirklich einige Mühe gemacht hatte. Allerdings wäre ich im Traum nicht auf die Idee gekommen, dass Bill Lorena gebeten haben könnte, ihm eine Freundin zu suchen, die seiner verstorbenen Frau ähnlich sieht.
»Ich hätte nie den Mut aufgebracht, mich selbst an Judith zu wenden, aus Angst, dass sie mich hasst. Ich freue mich so sehr, sie wiederzusehen. Und ihr Blut, das sie mir so freigebig gibt, hat mir bereits sehr gutgetan.«
Na also! Genau darum ging's doch!
»Judith ist bereit, eine Woche zu bleiben, damit wir uns gegenseitig >auf den neuesten Stand< bringen können. Und vielleicht kommst Du uns einmal an einem der nächsten Abende besuchen? Judith war äußerst beeindruckt von Deiner Freundlichkeit. Alles Liebe, Bill.«
Ich zwang mich, dem gefalzten Briefbogen ein Lächeln zu schenken. Ich würde ihm einfach zurückschreiben, wie sehr es mich freute, dass es ihm besser ging und er seine alte Beziehung zu Judith auffrischte. Natürlich hatte es mich gar nicht gefreut, als Bill damals mit Selah Pumphrey, einer Menschenfrau und Immobilienmaklerin, zusammen war. Aber damals waren wir erst kurze Zeit getrennt gewesen, und ich wusste, dass er sich im Grunde nicht viel aus ihr machte. Doch jetzt war ich entschlossen, mich für Bill zu freuen. Ich würde keine dieser Schreckschrauben werden, die völlig die Fassung verloren, wenn der Ex eine würdige Nachfolgerin fand. Das war extrem scheinheilig und egoistisch, und ich hoffte, ein besserer Mensch zu sein. Zumindest war ich entschlossen, eine gute Imitation eines solchen Menschen abzugeben.
»Okay«, sagte ich zu meinem Kaffeebecher. »Hat doch großartig geklappt.«
»Möchtest du dich vielleicht lieber mit mir als mit deinem Kaffee unterhalten?«, fragte Claude.
Ich hatte durch das offene Fenster Schritte auf der knarrenden Treppe gehört und bemerkt, dass noch ein Hirn in Betrieb war. Doch dass er zu mir auf die Veranda kommen würde, hatte ich nicht vorausgesehen.
»Du bist spät nach Hause gekommen«, sagte ich. »Soll ich dir einen Becher Kaffee holen? Es ist noch genug da.«
»Nein, danke. Ich trinke gleich ein Glas Ananassaft. Was für ein herrlicher Tag.« Claude trug kein Oberteil, aber immerhin eine Pyjamahose. Bedruckt mit dem Footballteam der Dallas Cowboys. Ha! Träum weiter!
»Ja«, sagte ich ohne große Begeisterung. Claude hob eine seiner perfekt geschwungenen schwarzen Augenbrauen.
»Deprimiert?«, fragte er.
»Nein, ich bin überglücklich«
»Ja, die Freude springt dir geradezu aus dem Gesicht. Was ist los, Cousine?«
»Ich habe den Scheck aus Claudines Nachlass bekommen. Gott segne sie. Das war wirklich sehr großzügig.« Ich sah zu Claude auf und blickte ihn so aufrichtig wie möglich an.
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