Vorgetäuscht: Liebesroman (German Edition)
schwarze Fenster und ließ jedes Wort und jede Bewegung des Tages noch einmal ablaufen. Ein paar Reihen weiter saß mir ein junges Paar gegenüber. Ihr Kopf lag auf seiner Schulter und das blondgesträhnte Haar fiel ihr über die Augen. Eine Strähne strich er behutsam hinters Ohr, ohne sie beimSchlafen zu stören. Dann küsste er sie auf den Scheitel, legte seine Hand auf ihr Bein, bevor er selbst die Augen schloss, als wäre das Leben für ihn in dem Moment vollkommen. Und das war es wahrscheinlich auch. Er sah so aus wie eine jüngere Version von Andrew.
Kapitel neun
FÜNFTE WOCHE UNSERER VEREINBARUNG
Das war gar nicht gut.
Seit Donnerstag hielt ich Wache neben dem Telefon und versuchte, es mit telepathischen Mitteln zum Klingeln zu bringen. Wenn ich geduscht oder die Post hereingeholt hatte oder kurz draußen gewesen war, prüfte ich zwanghaft auf dem Anrufbeantworter, ob Devin angerufen hatte.
In der Zwischenzeit beschäftigte ich mich irgendwie. Ich ging an den Jones Beach und versuchte zu lesen, oder mit dem Laptop zu
Starbucks
und versuchte zu schreiben, und ich aß noch mal mit meiner Mutter zu Mittag. Wir saßen uns im
Northport Restaurant & Diner
gegenüber, und meine Mutter machte eine Bemerkung darüber, dass die Ausschnitte meiner T-Shirts immer tiefer wurden.
Sie hatte immer schon gut ausgesehen – sie war eine von den Müttern, die in ordentlichen Hosen und geschminkt Lebensmittel einkaufen gingen, gut frisiert und mit passenden Accessoires. Als mein Vater starb, verbrachte sie Monate im Bett, und sie ließ den grauen Haaransatz rauswachsen. Fast über Nacht erschienen Falten auf ihrem kummervollen Gesicht. Als sie sich langsam wieder unter die Lebenden gesellte (und ich meine höllische Pubertät durchlebte), begann Mom mehr für sich zu tun, als nur ein glückliches Gesicht zu machen. Sie ließ sich liften, begann zu joggen und stellte ihre Garderobe neu zusammen. Während ich gegen meine krausen Haare und Snickers-Riegel ankämpfte. Und gegen zu viele Leggings und geerbte Jeans. Von meinen beiden älteren Brüdern konnte ich nicht lernen, wie man sich anzieht. Eigentlich hätte Mom mir helfen sollen, aber sie kritisierte mich nur. Rückblickend kommt es mir so vor, als hätten wir um Modegeschmack undAttraktivität konkurriert – und sie wollte sich bestimmt nicht ausstechen lassen.
Auch heute hatte Mom sich wieder gut zurechtgemacht. Der silbern schimmernde Bob stand ihr ausgezeichnet, das Make-up stammte wohl aus Lancômes exklusiver Serie, und sie sah zehn Jahre jünger aus, als sie war. Mit dem Hosenanzug, dessen Jacke sie locker über ihr Seidenhemd und die bloßen Schultern gehängt hatte, wirkte sie wie eine Unternehmerin. Sie beklagte sich darüber, dass die Klimaanlage zu warm eingestellt sei.
»Und was machst du so?«, fragte sie, nachdem wir bestellt hatten.
»Ach, was man im Sommer so macht«, sagte ich und vermied es, ihr in die Augen zu sehen. »Du weißt schon, Lesen, an meinen Essays arbeiten, mich mit Freunden treffen.«
»Kenne ich die?«
»Ach, nur meine Freundinnen Maggie und Jayce«, sagte ich, während meine vernünftige Gehirnhälfte mit meiner verrückten diskutierte, ob ich Devin erwähnen sollte. Raten Sie mal, wer verlor. »Und einmal in der Woche fahre ich zu einem Kurs in die Stadt, einer Art Selbsthilfekurs.«
Sie sah mich irritiert an.
»Was für eine Selbsthilfe denn?«
O Mist! Ich bereute es sofort.
»Ach, das Übliche, du weißt schon.«
»Nein, weiß ich nicht«, sagte sie erstaunt. »Wobei brauchst du denn Hilfe? Ich meine, ich weiß ja, dass es dir nicht gut ging, nachdem Andrew dich betrogen hat …«
Ich korrigierte meine Mutter nicht.
»… aber jetzt geht es dir doch gut. Du arbeitest, zahlst deine Rechnungen, gehst aus.«
»Mom, ich will an mir arbeiten. Was ist daran falsch?«
»Ich glaube nur, dass du dein Geld aus dem Fenster wirfst, das ist alles. Dir geht es doch gut.«
Anscheinend war ich im Vortäuschen so gut geworden, dass ich selbst meiner Mutter etwas vormachen konnte. Damit aus meiner kleinen Lüge keine Lawine wurde, sagte ich lieber nicht, dass ich meine Dienste gegen die eines anderen tauschte, sondern rief die Kellnerin und bestellte einen von den riesigen Keksen, die sie hier hatten.
»Solltest du das essen?«, fragte meine Mutter, als die Kellnerin Sekunden später mit meiner Bestellung zurückkam.
Ich starrte sie an und befahl meinen Augäpfeln, sie mit Laserstrahlen zu beschießen, kaute mein Cookie und
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