Vorgetäuscht: Liebesroman (German Edition)
hindurch. Ich tat mein Möglichstes, um auf den Bildschirm zu gucken, aber ich schaffte nicht viel an diesem Abend.
Sich in New York mit Männern zu verabreden, ähnelt einer anthropologischen Studie über Paarungsrituale einer bestimmten Spezies. Es gibt keine Ausrede, dass man an irgendeinem Abend in der Woche allein zu Hause sitzt, außer man liegt im Streckverband. In den ersten drei Monaten nach meiner Rückkehr ging ich zu mehr Cocktailpartys als in den zehn Jahren in Massachusetts zusammen. Klar, ich war keine arme Studentin mehr, also konnte ich es mir leisten, auszugehen. Aber trotzdem. Obwohl ich nur eine halbe Stunde von Providence und eine Stunde von Boston entfernt gelebt hatte, bedeutete Ausgehen in Neuengland, dass wir uns einen Film in Fairhavens
Bijou
ansahen oder in ein Restaurant an der Bucht von Westport gingen und anschließend einen langen Spaziergang am Strand machten. Und wenn der Winter kam, verkrochen sich alle in ihre mit Propangas beheizten Nester und luden groß zum Abendessen zu sich ein, damit sie nur ja nicht hinaus in die Kälte zu anderen zum Essen gehen mussten.
Doch New York war nun einmal das sprichwörtliche Füllhorn, voll der unterschiedlichsten Leute, wo man dauernd irgendwohin gehen konnte und wo immer was los war. Beziehungen entwickelten sich von zehn Minuten in einer Bar über einen Quickie im Taxi zu einer Woche in den Hamptons bis zum Brauttisch bei
Bergdorf‘s
oder bei
Macy‘s
, wenn man kein Geld hatte. In Massachusetts lernte man Leute in der Schule, über Freunde und auf Partnersuchseiten im Netz kennen. In New York musste man einfach nur mit der Bahn fahren.
Aber ich hatte mich noch nie auf diese Art und Weise verabredet; ich misstraute anderen Leuten. Ich vermied Augenkontakt in den Zügen. Und immer wenn mich irgendwer mit einem Freund oder Kollegen verkuppeln wollte, bestand ich darauf, erst mal zu überprüfen, ob er nicht vielleicht ein Terrorist war, indem ich die Liste der ausgeliehenen Bücher kontrollierte, die Unterlagen seines Zahnarztes einsah und mich über mögliche Vorstrafen informierte. Die meisten meiner Verflossenen waren zunächst Freunde gewesen, die ich über Kollegen oder Mitschüler getroffen hatte. Andrew gehörte zum Lehrkörper der SCCC, war ein unterbezahlter Lehrbeauftragter wie ich, und wir hatten uns eine Woche vor Beginn meines zweiten Semesters auf einer Orientierungsveranstaltung getroffen. Ich hatte beobachtet, wie er einem Professor mit unbefristetem Vertrag, der weitschweifig über die akademische Integrität des Lehrkörpers redete, aufmerksam zuhörte. Und mich gefragt:
Was ist das wohl für einer?
Eine Woche später, als ich im Büro der englischen Fakultät mein Postfach kontrollieren wollte, stand er an seinem Fach. Als er mich sah, lächelte er mich mit leuchtenden Augen an.
»Hi! Sie waren auch bei dem Orientierungstreffen, stimmt’s?«
»Ja, genau.«
»Mir haben Ihre Ansichten, dass Studenten sich gegenseitig abwechselnd prüfen sollten, gefallen.«
»Danke«, sagte ich, ohne recht hinzuhören, wandte mich um und verließ den Raum. Ich war schon halb den Flur hinuntergelaufen, als mir eine Stimme einflüsterte:
Pass auf!
Er war mir gefolgt.
»Ich bin Andrew.«
»Andi.«
»Ich ziehe Andrew vor.«
»Nein, ich wollte sagen, ich heiße Andrea, aber man nennt mich Andi.«
»Ach so«, sagte er und zog die Brauen zusammen. Wahrscheinlich dachte er:
Wenn das kein Stoff für dumme Witze ist
. »Wollen wir uns mal auf einen Kaffee treffen und uns Themen für Hausaufgaben ausdenken?«
Ich sah ihn an. Er war schlaksig und zu Jeans trug er Hemd und Krawatte. Die meisten Männer sahen in der Aufmachung idiotisch aus, aber an ihm fand ich es süß.
»Gerne«, sagte ich. Mein Magen machte einen kleinen Salto, aber ich lächelte ihn an.
Als ich herausfand, dass er Gitarre spielte, wusste ich, dass ich verloren war.
Und so begann unsere vierzehnmonatige Beziehung. Ich war weniger als ein halbes Jahr nach unserer Trennung nach New York gezogen; ihn auch nur im Flur zu treffen, wäre zu viel für mich gewesen.
Seitdem war ich oft mit Maggie und Jayce ausgegangen und hatte viele Typen kennengelernt, aber meistens mussten meine Freundinnen mich mit dem Versprechen auf ein leckeres Dessert locken oder damit, dass sie das U-Bahn-Ticket für mich bezahlen würden (was sie dann aber fast nie taten).
Aber ein Rendezvous war etwas ganz anderes. In meiner Vorstellung war das wie ein gefährlicher Dschungel, durch den ich lieber
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