Vorgetäuscht: Liebesroman (German Edition)
aufblitzen und drückten ihre Kreuze durch.
Ich stand einfach nur wie einzementiert da.
»Okay.«
Wir bewegten uns beide nicht.
»Es war nett, Sie wiederzusehen. Und übrigens, es gefällt mir, wie Sie Ihr Haar tragen.«
»Sie auch.«
Großer Gott, töte mich jetzt. Bitte.
»Man sieht sich.«
Endlich ging er. Ich löste meine Füße vom Boden und ging zur Toilette. Ich merkte, dass ich zitterte, als ich in den Spiegel sah.
Reiß dich zusammen
. Ich atmete tief ein und aus. Dann wischte ich mir mit einem Papiertaschentuch über die Nase. Sie glänzte. Als ich meine Fassung wiedergewonnen hatte, warf ich einen letzten Blick in den Spiegel: Mein Fransenschnitt saß wirklich perfekt. Die Haare fielen mir glatt und glänzend bis auf die Schultern. Es sah aus, als sei ich gerade eben vom Friseur gekommen. Er mochte es so. Unwillkürlich musste ich lächeln, als ich die Toilette verließ.
Kapitel vier
JUNI
In Massachusetts hatte ich in den letzten fünf Jahren während der Sommermonate an einer Highschool Englischkurse gegeben. Als Andrew und ich ein Jahr zusammen waren, bewarb er sich auch. Er hielt sich an den Lehrplan der Highschool und versuchte, die Schüler zu motivieren,
Die Canterbury Erzählungen
zu lesen, indem er sie zum Musical umschrieb, während ich meinen Schülern auftrug, Essays zu schreiben, warum der erklärte wissenschaftliche Auftrag der Highschool absoluter Schwachsinn war. Andrews Schüler fächelten sich mit ihren Spiralblöcken Luft zu, während meine Schüler sich wechselseitig korrigierten, so ähnlich wie an der Uni. Ich hatte es mir verkniffen, ihm zu sagen, dass ein paar Schüler von ihm zu mir gewechselt waren.
»Ich versteh’s nicht, Cutch«, meinte er eines Nachmittags in
Pop‘s Café
schwitzend und ernüchtert. »Sie verstehen überhaupt nichts. Ich dachte, ein frischer Ansatz wäre hilfreich.«
»Schatz, es ist
Sommer
«, sagte ich und nahm einen Schluck geeisten Vanille-Chai. »Ohne Klimaanlage in den Klassenzimmern könntest du sie nicht mal für
American Idol
begeistern.«
Wenn ich mich vom akademischen Jahr entgiftet hatte, mich auf die Sommerkurse vorbereitet und auch davon entgiftet und mich auf das kommende Semester eingestellt hatte, blieb keine Zeit, mich hinzusetzen und irgendwas zu schreiben. Aber hier in New York hatte ich mich auf die ersten langen Sommerferien gefreut. Doch statt mich an den Strand zu legen und etwas für meine zukünftigen Melanome zu tun, wollte ich ein paar Essays schreiben und Artikel lesen, von der Arbeit an Maggies und meinem Lehrbuch ganz zu schweigen.
Doch jetzt saß ich vor meinem Computer in meiner Wohnung und surfte im Internet, hinter mir stand ein großer Ventilatorauf dem Boden, der von rechts nach links und wieder zurück rotierte. Ich war gelangweilt, müde und einsam, und ich hatte keine einzige Zeile geschrieben – verdammt, ich hätte genauso gut schwitzend in Andrews Sommerkurs sitzen und mir sein Geschwafel über den
Mittsommernachtstraum
anhören können. Und wenn er die Tugenden der Mandoline anpries, kämpfte ich vor Flüssigkeitsmangel gegen eine Ohnmacht an.
Ich blieb bei Partnerseiten hängen und las die Anzeigen:
- Klug ist sexy! Intelligente weiße W sucht weißen M für lange Unterhaltungen bis spät in die Nacht.
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Oh je.
Ich ließ den Blick über mein Schwarzes Brett schweifen mit all den Post-it-Zetteln voller Ideen für Essays und Abhandlungen, Telefonnummern und E-Mail-Adressen von Freunden und Lehrbuch-Herausgebern, Fotos von meinen beiden Brüdern, Joey und Tony; von Maggie und mir bei einer Englischkonferenz in Chicago vor zwei Jahren; und eins von Andrew und mir, aus dem ich Andrews Gesicht gekratzt hatte. (Das hatte ich zur Erinnerung aufbewahrt, falls ich ihn zu vermissen begann.) Devins Visitenkarte war noch immer dort festgepinnt.
Das Telefon stand neben dem Computer in seiner Basisstation. Ich sah von der Karte zum Telefon und wieder zurück. Schließlich wählte ich seine Nummer. Nach dem zweiten Klingeln sprang ein Anrufbeantworter an, wie man es mir gesagt hatte.
Nach dem Piepsen sprach ich los: »Hi, ähm, dies ist eine Nachricht für Devin. Äh, hier ist Dr. Andi
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