Vorhang auf für eine Leiche
mir, auf dem Sims des Salonschornsteins, die Zündschnüre für das Feuerwerk lagen. Wenn ich an die herankommen könnte … das Feuerzeug an die Zündschnur halten … Hilfe herbeirufen … alles Übrige war dann Schicksal.
Doch jetzt packten mich die Handschuhe an den Knöcheln. Ich trat und strampelte mit aller Kraft.
Ein dumpfer Aufprall – Schuh auf Schädel – war mein Lohn, und die Gestalt zuckte mit einem heiseren Schmerzensschrei und vors Gesicht geschlagenen Händen zurück.
Ich ergriff die Gelegenheit und schob mich um den Schornstein herum. Von der anderen Seite aus konnte ich vielleicht ungesehen wieder aufs Dach hinunterspringen.
Ich musste es riskieren. Ich hatte keine Wahl.
Weicher als gedacht landete ich und war schon auf halbem Weg zum Salonschornstein, als mein Angreifer mich erblickte und mit einem Wutschrei hinter mir herstürzte. Seine Stiefel schleuderten dicke Schneeklumpen empor.
Keuchend warf ich mich gegen den Kamin, der höher als der erste war, und zog mich hoch. Dann tastete ich nach dem Sturmfeuerzeug in meiner Tasche.
Die Lunten lagen auf Höhe meiner Schuhe. Ein kurzer Klick, und die Sache wäre erledigt.
Ich bückte mich und versuchte vergeblich, dem Feuerzeug eine Flamme zu entlocken.
Klick! machte es.
Sonst passierte nichts.
Schon packte mein Angreifer den Kaminvorsprung und krallte sich wie eine wütende Raubkatze in die Steine. Wenn es ihm gelang, sich heraufzuziehen, war ich erledigt.
Ich schlug mit der Taschenlampe nach seinem bebrillten Gesicht, traf aber nicht.
Die Taschenlampe entglitt mir und fiel, sich wie in Zeitlupe um ihre eigene Achse drehend, aufs Dach, wo sie schräg in einer Schneewehe stecken blieb, ihren Strahl auf die Augen des Angreifers richtete und ihn blendete.
Ich ging rasch wieder in die Hocke und knipste wie wild auf dem Feuerzeug herum.
Klick! … Klick! … Klick! … Klick! …
Verdammter Mist! Ich hätte die Zündschnüre mit Kerzenwachs ummanteln sollen, aber man kann ja nicht an alles denken. Offenbar waren sie feucht geworden.
Die grapschenden Handschuhe kamen näher. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie mich am Fuß packten und aufs Dach herunterzogen.
Ich schob mich höher und kroch wieder um den Kamin herum.
Mein Angreifer folgte mir unten auf dem Dach. Vielleicht hoffte er, dass ich ausrutschte und herunterfiel. Ich hing wie eine Napfschnecke über seinem behelmten Kopf und schnaufte Atemwölkchen in die eisige Luft.
So verging ein Augenblick. Dann noch einer.
Auf einmal merkte ich, dass es wärmer wurde. Hatte der Wind nachgelassen, oder war plötzlich der Sommer angebrochen? Vielleicht hatte ich ja auch Fieber.
Mir fielen Mrs Mullets unermüdliche Warnungen ein.
»Kriecht die Kälte ins Gebein, stellt Gevatter Tod sich ein. Wenn du zum hundertsten Geburtstag einen Brief vom König bekommen willst, musst du dich stets warm anziehen, Schatz.«
Ich klemmte die Strickjacke fest unters Kinn.
Die Gestalt unter mir hatte kehrtgemacht und stapfte in Richtung Westflügel. Erst wunderte ich mich, dann dämmerte es mir.
Über dem Salon war unsere Radioantenne zwischen zwei senkrechte Bambusstangen gespannt.
Mein Angreifer setzte den Stiefel auf den Sockel, packte die nächstbeste Stange und zog mit einem kräftigen Ruck daran. Wahrscheinlich aufgrund der Kälte brach die Stange so leicht wie ein Streichholz ab und hing nur noch oben an dem Kupferdraht. Noch ein Ruck, und sie war frei. Nun besaß mein Widersacher eine noch bessere Waffe: eine Bambusstange mit zwei gefährlich schartigen Enden. An einem Ende baumelte ein weißer Porzellanisolator an einem Stück Draht.
Ich spähte nach unten in das emporgewandte Gesicht meines Angreifers. Wenn ich ihm doch wenigstens die Brille wegreißen könnte!
Seine irren Augen starrten mich mit tödlichem Hass durch die grüne Brille an. Ein Schauder packte mich, wie ich ihn noch nie verspürt hatte.
Plötzlich fiel mir auf, dass die Augen nicht von der gewohnten Hornbrille umrahmt wurden. Mein Angreifer war nicht Val Lampman.
»Marion Trodd will mich umbringen!«, hörte ich meine innere Stimme schreien, und sie war von dieser Erkenntnis mindestens so überrascht wie ich selbst.
Es wäre weniger unheimlich gewesen, wenn die Frau etwas gesagt hätte. Aber sie schwieg. Sie stand reglos im Schneetreiben und schaute mich mit seltsam unpersönlichem Hass an.
Und dann, als verneigte sie sich am Ende einer Vorstellung, lüftete sie die Fliegerbrille und zog den Helm vom
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