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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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damit beauftragt, mich aus dem Weg zu räumen. Sie war mir gefolgt und hatte sich während eines meiner Transporte zwischen Labor und Dach hinausgeschlichen. Als sie nicht zurückgekommen war, hatte er sich selbst aufgemacht, um die Drecksarbeit zu erledigen.
    Seine Komplizin hing immer noch fest und wand sich hilflos wie ein Insekt auf einem Streifen am Fliegenpapier. Er gönnte ihr nur einen flüchtigen Blick.
    »Val!«, kreischte sie. »Mach mich los!«
    Es waren die ersten Worte, die ich sie sprechen hörte, seit sie mich über das Dach verfolgte.
    Er wandte den Kopf, hielt kurz inne und machte einen zögerlichen Schritt in ihre Richtung.
    Da begriff ich, dass der Mann von Marion Trodds Rachsucht angetrieben wurde. Auf ihren Befehl hatte er sogar seine eigene Mutter erdrosselt.
    Wenn so wahre Liebe aussah, dann wollte ich nichts damit zu tun haben.
    Er schien unschlüssig, um wen von uns beiden er sich zuerst kümmern sollte. Am Fuß des Schornsteins stolperte er und fiel mit den Ellbogen voran in den Schnee!
    Ich hätte am liebsten laut gejubelt!
    Als er unbeholfen wieder auf die Beine kam, sah ich, dass er über den Bambusstab gestolpert war, der sich in einer Schneewehe versteckt hatte.
    »Stocher die Kleine runter, Val! Hol sie da runter. Mach schon, Val! Na los!«
    Er sah erst mich an und dann sie. Er wiegte den Kopf, als dächte er angestrengt nach.
    Dann, als erwachte er aus einer Trance, hob er den Bambusstab auf und trat unter mir dicht vor den Kamin. Ich klammerte mich verzweifelt fest.
    Er ließ sich Zeit dabei, das spitze Ende des Stocks in den Kragen meiner Strickweste zu schieben und noch einmal zu drehen, damit es festsaß.
    Das Drahtstück verfing sich in den Maschen meines Wollpullovers und bohrte sich zwischen meine Schulterblätter.
    »Nein!«, stieß ich hervor. »Bitte nicht!«
    Ein kräftiger Stoß, und ich stürzte in die Tiefe. Ich landete mit dem Gesicht im Schnee und rang nach Luft.
    Als ich mich auf den Rücken rollen konnte, zog er mich auch schon auf den Rand des Daches zu. Ich fuchtelte in der Luft herum, aber ich konnte mich nirgendwo festhalten. Ich war verloren!
    Mithilfe der Stange hielt er sich von meinen Händen, Füßen und Zähnen fern und schleifte mich wie einen Kabeljau am Haken durch den Schnee.
    Es gab keinen Zweifel, was er vorhatte. Er wollte mich vom Dach werfen.
    Als er versuchte, vor dem endgültigen Stoß einen festeren, breitbeinigen Halt zu finden, geriet er auf dem Schnee ins Rutschen.
    Auf welche unfaire Weise sich doch alles zu meinem Nachteil entwickelt hatte, dachte ich empört. Hundsgemein war das! Niemand sollte auf diese Art sterben müssen.
    Und doch war auch Harriet so gestorben.
    Was wohl ihre letzten Gedanken auf diesem eisigen Berg in Tibet gewesen sein mochten? War ihr Leben noch einmal an ihr vorübergezogen, wie es immer hieß?
    Hatte sie noch an mich denken können, oder war alles zu schnell gegangen?
    »Hör auf mit dem Quatsch, Flavia!«, schimpfte auf einmal meine innere Stimme. »Hör sofort auf damit!«
    Ich war so verdutzt, dass ich gehorchte.
    Aber was sollte ich stattdessen tun?
    »Bestandsaufnahme! Denk alle Möglichkeiten noch mal durch!«, antwortete die Stimme gereizt.
    Na klar – Bestandsaufnahme!
    Es war geradezu lächerlich einfach. Ich hatte schließlich nichts zu verlieren.
    Irgendwie gelang es mir in diesem Moment, mich so weit umzudrehen, dass ich meinen Kragen befreien konnte, das Ende der Stange zu fassen bekam und sogar aufstehen konnte.
    Wie zwei Hochseilartisten standen wir am Rand des Abgrunds, Val Lampman und ich, und jeder von uns hielt sich verzweifelt an einem Ende der Bambusstange fest.
    Lampman versetzte der Stange plötzlich einen Stoß und versuchte, mich umzuwerfen, rutschte aber dabei auf der vereisten Dachrinne aus. Er ließ die Stange los und versuchte mit wild fuchtelnden Armen einen neuen Halt zu finden.
    Vergebens.
    In absoluter Stille kippte er hintenüber und wurde von der Nacht verschluckt. Der Stock trudelte hinter ihm her.
    Dann hörte man einen grässlich dumpfen Aufschlag.
    Ich stand noch immer schwankend auf dem schräg abfallenden Dachrand und rang ebenfalls um mein Gleichgewicht. Auch meine Füße fanden keinen Halt, und auch ich glitt unaufhaltsam in Richtung Dachrinne.
    Verzweifelt warf ich mich auf den Bauch und versuchte die Finger in die eisigen Steine zu graben.
    Vergebens.
    Als meine Füße ins Leere rutschten, unternahm ich einen letzten verzweifelten Versuch, die Finger in die morsche

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