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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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dem Dach gewesen war, waren mehrere Stunden vergangen. Wind und der Schnee mussten meine Spuren im Nu verweht haben. Sogar meine frischen Abdrücke verloren bereits ihre Konturen.
    Mit ein paar Sprüngen stand ich vor den Fußstapfen, und ich sah auf den ersten Blick, dass sie von der Tür weg führten , nicht auf sie zu.
    Außer Flavia und dem Weihnachtsmann war noch jemand auf dem Dach gewesen.
    Und das konnte noch nicht lange her sein.
    Obendrein, falls ich die Spuren richtig deutete, hielt sich der- oder diejenige immer noch hier oben auf und versteckte sich irgendwo in der Schneewüste.
    »Hau sofort ab, Flavia!«, schrie mir der uralte, vom Instinkt gesteuerte Teil meines Verstandes zu. Aber ich blieb unschlüssig stehen – im Bann meiner plötzlichen Erkenntnis und unfähig, mich auch nur einen Zentimeter vom Fleck zu rühren –, als eine schwarze Gestalt lautlos hinter dem Schornstein von Harriets Boudoir hervortrat.
    Die Gestalt trug einen langen, altmodischen Ledermantel, wie ihn früher die Flieger getragen hatten. Er reichte ihr fast bis auf die Reitstiefel, und der hohe Kragen war bis zu den Ohren hochgeschlagen. Die Augen waren hinter den runden, grünen Brillenlinsen eines alten Lederhelms verborgen, wie ihn Harriet getragen hatte, als sie noch geflogen war, und die Hände steckten in langen, ledernen Stulpenhandschuhen.
    Mein erster Gedanke war natürlich der, dass diese geisterhafte Erscheinung meine Mutter sein konnte – ein Gedanke, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.
    Obwohl ich mich mein Leben lang danach gesehnt hatte, mit Harriet wiedervereint zu sein, sollte es bitte nicht auf diese Art und Weise geschehen. Nicht maskiert und nicht auf einem windumtosten Dach.
    Gut möglich, dass ich leise wimmerte.
    »Wer bist du?«, stieß ich mühsam hervor.
    »Deine Vergangenheit«, glaubte ich die Gestalt antworten zu hören.
    Oder war es nur der Wind gewesen?
    »Wer bist du?«, fragte ich noch einmal.
    Da meldete sich auf einmal meine innere Stimme wieder. Sie sprach so gelassen wie der BBC-Sprecher im Radio, wenn er die Nachrichten des Seewetterdienstes für Rockall, die Shetland- und die Orkneyinseln vorlas.
    »Immer mit der Ruhe«, sagte die Stimme. »Du kennst diese Person – du hast es bloß noch nicht begriffen!«
    Die Stimme hatte recht. Obwohl mir alle nötigen Informationen zur Verfügung standen, hatte ich noch nicht den entscheidenden Schluss daraus gezogen. Die Erscheinung war einfach jemand, der sich aus dem Filmfundus bedient hatte – jemand, der nicht erkannt werden wollte.
    »Es hat keinen Zweck, Mr Lampman«, sagte ich. »Ich weiß, dass Sie Ihre Mutter umgebracht haben.«
    Irgendwie wäre es mir respektlos vorgekommen, ihn »Val« zu nennen.
    »Sie und Ihr Komplize haben sie abgemurkst und anschließend herausgeputzt, und zwar in dem Kostüm, das sie in Bereit zu sterben getragen hat – in der Rolle, die Sie Ihrer – wie nennt man das? –, Ihrer Geliebten versprochen hatten.«
    Es hatte etwas Beruhigendes, diese altbekannte Schlussformel aus meinem eigenen Mund zu hören, den letzten Wortwechsel zwischen dem kaltblütigen Mörder und dem erfolgreichen Ermittler. Ich hatte lange in den Kinozeitschriften blättern müssen, um dieses letzte belastende Indiz ausfindig zu machen. Ich war stolz auf mich.
    Aber nicht lange.
    Die Gestalt machte plötzlich einen Satz auf mich zu. Ich war überrumpelt und wäre beinahe rücklings in einer Schneewehe gelandet. Ich rettete mich mit wildem Gefuchtel und einem Sprung nach hinten.
    Ärgerlicherweise versperrte mir der Angreifer den Weg zur Treppe. Ich musste mein Heil wie eine Katze in der Höhe suchen.
    Immer wieder abrutschend kletterte ich auf einen Schornsteinabsatz (auf einen, den ich nicht mit Leim beschmiert hatte). Von hier aus konnte ich mich mit einer Hand festhalten und dem Mörder ins Gesicht treten, falls es so weit kommen sollte.
    Es kam so weit.
    Fauchend wie eine angriffslustige Schlange zog mein Angreifer eine Waffe aus seiner geräumigen Manteltasche – Schlagstock oder Gummiknüppel hieß dieses Utensil bei der Polizei – und ließ das Ding mit voller Wucht dicht neben meinen Füßen auf die Ziegel krachen.
    Zack! machte es, und noch einmal Zack! Die Schläge prasselten auf den gemauerten Vorsprung unterhalb der Schornsteinaufsätze. Es klang wie brechende Knochen.
    Ich musste wie beim schottischen Volkstanz hin und her hüpfen, damit meine Zehen nicht zerschmettert wurden.
    Mir fiel ein, dass hinter

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