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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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zerkratzten Unterarmen halten? Die Wunden sahen frisch aus. Morgen früh mit Dogger besprechen.
     
    Latshaw, Ben  – Scheint ein Unruhestifter zu sein. Aber was hat er davon, wenn die Dreharbeiten abgebrochen wurden? Nach Patrick McNultys Unfall ist er befördert worden. Hat ihn womöglich die Filmgesellschaft angeheuert, PW abseits des Studios um die Ecke zu bringen? (Reine Spekulation meinerseits.)
     
    Trodd, Marion  – Die Rätselhafte mit der Hornbrille. Lungert überall herum wie der Mief aus einem verstopften Abflussrohr. Sieht der Schauspielerin Norma Durance verflixt ähnlich. Aber das waren alte Aufnahmen. Hätte Tante Felicity nach ihr fragen sollen. Später erledigen.
    Ich las das Ganze noch einmal durch und kratzte mich mit dem Bleistift am Kopf. Es war nicht zu übersehen, dass mein Wissensstand alles andere als zufriedenstellend war.
    Bei den meisten Ermittlungen von Kriminalfällen – sowohl im Radio als auch nach meiner eigenen Erfahrung – gibt es mehr Verdächtige, als man gebrauchen kann, aber in diesem Fall waren sie ausnahmsweise eher spärlich gesät. Einerseits hatte es gute Gründe für Groll oder Missgunst gegenüber Phyllis Wyvern gegeben, andererseits aber keinen unverhohlenen Hass: nichts, was ihre brutale Erdrosselung oder das Stück mutwillig um ihren Hals gewickelten Filmstreifen auch nur ansatzweise erklärt hätte.
    Ich sah den schwarzen Zelluloidstreifen wieder vor mir. In jedem der kleinen Rechtecke sah man ein Standbild der Schauspielerin in ihrer Bauernbluse und mit ihrem trotzigen Gesicht, das wie die Sonne vor einem dramatisch verfinsterten Himmel leuchtete.
    Wie hätte ich das Bild auch vergessen können – wo ich es doch so oft im Traum sah? Es stammte aus der aufwühlenden Schlussszene von Anna aus der Steppe beziehungsweise Bereit zu sterben, in der Phyllis Wyvern sich als die todgeweihte Anna Scheristikowa vor die anrückenden Traktoren legt.
    Mein übermüdetes Gehirn bildete sich ein, Motorendonner zu hören, aber das war nur der Wind, der um das Haus heulte und toste.
    Wind … Traktoren … Dieter … Feely …
    Als ich die Augen wieder öffnete, war es acht Minuten nach Mitternacht.
    Irgendwo im Haus wurde gesungen.
    »O Bethlehem, du kleine Stadt,
Wie stille liegst du hier …«
    Ich sah die ehrfurchtsvoll emporgewandten Gesichter der Dorfbewohner direkt vor mir.
    Und ich wusste sofort, dass der Vikar sich trotz der ungünstigen Umstände dazu entschlossen hatte, die Christmesse zu feiern. Er hatte die Männer des Dorfes gebeten, unseren alten Broadwood-Flügel aus dem Salon in die Halle zu tragen, und Feely saß an den Tasten. Ich wusste, dass es Feely und nicht Max Brock war, weil nur meine Schwester dem Instrument dieses zögerliche Schluchzen entlocken konnte, mit dem die Melodie anstieg und wieder in sich zusammensank.
    Weil Phyllis Wyverns Leichnam immer noch im Haus war, duldete der Vikar nur die allerbesinnlichsten Weihnachtslieder.
    Ich sprang aus dem Bett und zog die langen, schlammfarbenen Baumwollstrümpfe an, die ich auf Vaters Befehl im Winter zu tragen hatte, wenn ich das Haus verließ. Ich verabscheute die kratzigen Dinger aus tiefstem Herzen, aber auf dem Dach würde es bitterkalt sein.
    Anschließend schnappte ich mir die leistungsstarke Taschenlampe, die ich aus der Butler-Kammer gemopst hatte, und schlich mich in mein Labor, wo ich noch ein Sturmfeuerzeug in die Tasche meiner Strickweste steckte.
    Ich nahm die dicke Gedenkrakete vorsichtig hoch, wiegte sie in den Armen und lächelte so lieblich wie Maria im Krippenspiel.
    Dann stieg ich die Treppe hoch.

20
    A uf dem Dach herrschte das reinste Chaos. Ein scharfer Wind blies beißende Schneeböen von Schornstein zu Schornstein und schmirgelte mein Gesicht mit Eiskörnern, die hart wie gefrorener Sand waren. In den letzten Stunden hatte sich das Wetter eindeutig verschlechtert, und der Sturm hatte sich alles andere als gelegt.
    Jetzt fing die eigentliche Arbeit an. Ein ums andere Mal stieg ich die Treppe zwischen Labor und Dach rauf und runter, schleppte Topf um Topf, bis mein Feuerwerk schließlich wie die noch nicht angezündeten Kerzen auf einer mehrstöckigen Torte um die Schornsteinkästen herum aufgebaut war.
    Obwohl ich im Dunkeln kaum etwas sehen konnte, wollte ich die Taschenlampe nur anknipsen, wenn es gar nicht anders ging. Ich wollte schließlich keine unerwünschte Aufmerksamkeit auf mich lenken, indem ich wie ein Irrlicht zwischen den hohen Schloten hin und her

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