Vorhang
machen ein großes Theater – Mrs Franklin ist der leidende Typ. Sie schläft die ganze Nacht nicht und sieht am Morgen blass und erschöpft aus.«
»Aber sie ist doch wirklich krank, oder?«, fragte ich bestürzt.
Schwester Craven warf mir einen eigenartigen Blick zu. »Oh, natürlich«, antwortete sie kurz und wechselte dann unvermittelt das Thema.
Sie fragte mich, ob es wahr sei, dass ich vor langer Zeit, während des Ersten Weltkriegs, schon einmal hier gewesen sei.
»Ja«, sagte ich, »das stimmt.«
Sie senkte die Stimme. »Ein Mord hat sich damals hier ereignet, nicht wahr? Ich hörte es von einem der Hausmädchen. Eine alte Dame wurde ermordet?«
»Ja.«
»Und Sie waren zu der Zeit hier?«
»Ja.«
Sie schüttelte sich leicht. »Das erklärt alles, finden Sie nicht?«
»Was soll es erklären?«
Sie warf mir einen raschen Seitenblick zu. »Nun – die Atmosphäre hier. Spüren Sie es nicht? Irgendetwas stimmt nicht, wenn Sie wissen, was ich meine.«
Ich schwieg einen Augenblick und dachte nach. War an dem, was sie eben gesagt hatte, etwas dran? War es möglich, dass ein gewaltsamer, aus niedrigen Beweggründen herbeigeführter Tod am Ort der Tat so starke Nachwirkungen hinterließ, dass sie noch nach vielen Jahren wahrgenommen werden konnten? Menschen, die für übersinnliche Einflüsse empfänglich waren, behaupteten dies. Gab es auf Styles tatsächlich noch Spuren des Ereignisses, das vor so langer Zeit geschehen war? Hier, in diesen Mauern, in diesem Garten waren Mordgedanken gehegt und genährt worden, die schließlich im Akt der Tat ihre Erfüllung gefunden hatten. Vergifteten sie noch immer die Atmosphäre?
Schwester Craven unterbrach meine Überlegungen mit der Mitteilung: »Ich war auch schon mal in einem Haus, in dem ein Mord geschah. Ich werde es nie vergessen. Wissen Sie, so etwas kann man einfach nicht vergessen. Es war ein Patient von mir. Ich wurde verhört und so weiter. Ich fühlte mich ganz komisch. Es ist eine hässliche Erfahrung für eine Frau.«
»Gewiss. Ich weiß selbst – «
Ich brach ab, als ich Boyd Carrington ums Haus biegen sah.
Wie immer schien seine starke, lebensfrohe Persönlichkeit alle Schatten und ungreifbaren Bedrohungen zu vertreiben. Er war so kräftig, so gesund, so naturverbunden – einer dieser sympathischen Männer, die Optimismus und gesunden Menschenverstand verbreiten.
»Morgen, Hastings. Morgen, Schwester. Wo ist Mrs Franklin?«
»Guten Morgen, Sir William. Mrs Franklin sitzt im Garten unter der Buche neben dem Labor.«
»Und Franklin hält sich vermutlich im Labor auf?«
»Richtig, Sir William – zusammen mit Miss Hastings.«
»Das arme Mädchen. Man muss sich nur einmal vorstellen, an so einem schönen Morgen eingesperrt zu sein mit lauter stinkenden Chemikalien! Sie sollten dagegen protestieren, Hastings.«
»Oh, Miss Hastings fühlt sich dabei ganz wohl«, sagte Schwester Craven rasch. »Sie mag die Arbeit, und ich bin sicher, dass Dr. Franklin ohne sie nicht zurechtkäme.«
»Der Arme«, meinte Boyd Carrington. »Wenn ich ein hübsches Mädchen wie Judith als Assistentin hätte, würde ich mich mit ihr beschäftigen und nicht mit Meerschweinchen, hehe!«
Es war genau die Art Scherze, die Judith missfallen hätte, aber Schwester Craven wollte sich ausschütten vor Lachen.
»Oh, Sir William«, rief sie. »So etwas dürfen Sie nicht sagen! Wir wissen genau, was Sie für einer sind! Aber der gute Dr. Franklin ist so ernst – so vertieft in seine Arbeit.«
»Seine Frau scheint sich aber einen Platz ausgesucht zu haben, von dem aus sie ihren Mann im Auge behalten kann«, meinte Boyd Carrington unbekümmert. »Ich glaube, sie ist eifersüchtig.«
»Sie wissen viel zu gut Bescheid, Sir William!« Schwester Craven schien diese Neckerei sehr zu gefallen. Dann sagte sie zögernd: »Ich glaube, ich muss jetzt nach Mrs Franklins Malzmilch sehen.«
Sie ging langsam davon, und Boyd Carrington sah ihr nach.
»Hübsches Mädchen«, bemerkte er. »Schönes Haar und schöne Zähne. Anziehende weibliche Erscheinung. Muss auf die Dauer ziemlich öde sein, immer für kranke Leute zu sorgen. Ein Mädchen wie sie hätte was Besseres verdient.«
»Ach«, sagte ich, »sie wird eines Tages bestimmt heiraten.«
»Wahrscheinlich.«
Er seufzte – und ich hatte das Gefühl, dass er an seine verstorbene Frau dachte. Dann sagte er: »Haben Sie Lust, mitzukommen und sich Knatton anzusehen?«
»Gern. Ich möchte vorher nur Poirot aufsuchen und fragen, ob er
Weitere Kostenlose Bücher