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Vorhang

Vorhang

Titel: Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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darauf wartete, dass etwas passierte.
    Es kam jedoch nicht zu einem Ereignis in dem erwarteten Sinn. Aber es gab kleine Vorfälle, seltsame Gesprächsfetzen und vielsagende Bemerkungen, die ein Licht auf die Bewohner von Styles warfen. Diese Hinweise summierten sich und hätten mir, wenn ich sie richtig zusammengefügt hätte, einigen Aufschluss geben können.
    Poirot war es, der mich schließlich mit ein paar energischen Worten auf einen Punkt aufmerksam machte, den ich bisher sträflich übersehen hatte.
    Ich beklagte mich zum x-ten Mal über seine ungerechtfertigte Weigerung, mich ins Vertrauen zu ziehen. Das sei nicht fair, hielt ich ihm vor. Bisher hätten er und ich immer gleich viel Informationen gehabt – selbst wenn ich daraus nicht ebenso scharfsinnige Schlüsse habe ziehen können wie er.
    Er winkte ungeduldig ab. »Ganz recht, mein Freund! Das ist nicht fair! Das ist unsportlich! Das verstößt gegen die Spielregeln! Zugegeben, und jetzt genug davon! Dies ist nämlich kein Spiel – das ist nicht le sport. Sie ergehen sich in abwegigen Vermutungen über die Identität von X. Dazu habe ich Sie nicht hergerufen. Es ist unnötig, dass Sie sich darüber den Kopf zerbrechen. Denn ich kenne ihn. Was ich jedoch nicht weiß, aber wissen muss, ist die Antwort auf die Frage: Wer wird in allernächster Zeit sterben? Es handelt sich hierbei nicht um eins Ihrer Ratespiele, mon vieux, sondern es geht darum, ein Menschenleben zu retten.«
    Ich war bestürzt. »Natürlich«, sagte ich langsam. »Sie – Sie haben das praktisch schon einmal gesagt, aber ich habe es nicht so richtig erfasst.«
    »Dann erfassen Sie es jetzt – sofort!«
    »Ja, das werde ich – ich meine, das tue ich.«
    »Bien. Dann erzählen Sie mir, Hastings: Wer ist es, der sterben wird?«
    Ich starrte ihn verblüfft an. »Ich habe wirklich keine Ahnung!«
    »Dann bemühen Sie sich, es herauszubekommen! Wozu sind Sie sonst hier?«
    »Es gibt gewiss eine Verbindung zwischen dem Opfer und X«, überlegte ich, »und wenn Sie mir sagen würden, wer X ist – «
    Poirot schüttelte energisch den Kopf. »Habe ich Ihnen nicht erklärt, dass das Geheimnis von X’ Technik gerade darin besteht? Es wird keinerlei Verbindung zwischen X und dem Todesfall geben. Das ist ganz sicher.«
    »Sie meinen, die Verbindung wird nicht zu erkennen sein?«
    »So wenig, dass weder Sie noch ich darauf kommen werden.«
    »Aber wenn man die Vergangenheit von X untersucht, müsste man doch – «
    »Nein, sage ich Ihnen! Und schon gar nicht in der kurzen Zeit! Jeden Augenblick kann ein Mord geschehen, verstehen Sie?«
    »An jemand im Haus?«
    »An jemand im Haus.«
    »Und Sie wissen wirklich nicht, an wem und wie?«
    »Ah! Wenn ich das wüsste, würde ich Sie nicht so drängen, es für mich herauszufinden.«
    »Ihre Annahme gründet sich also einzig und allein auf der Anwesenheit von X?«
    Meine Frage klang etwas zweifelnd. Poirot, dessen Selbstbeherrschung durch die aufgezwungene Untätigkeit gelitten hatte, fuhr mich an: »Ah, ma foi, wie oft soll ich es noch sagen? Wenn plötzlich ein Haufen Kriegsberichterstatter in einem bestimmten Teil Europas auftauchen, was bedeutet das wohl? Es bedeutet Krieg! Wenn Ärzte aus aller Welt in eine bestimmte Stadt reisen – was steckt dahinter? Dass dort ein Ärztekongress stattfindet. Wenn man einen Geier lauern sieht, weiß man, dass irgendwo ein Kadaver liegt. Wenn Treiber durchs Moor gehen, weiß man, dass eine Jagd stattfindet. Wenn ein Mann plötzlich stehen bleibt, seinen Mantel auszieht und ins Wasser springt, heißt das, dass er jemand vorm Ertrinken retten will. Wenn respektable Damen mittleren Alters durch eine Hecke lugen, kann man sicher sein, dass es dort etwas Unschickliches zu sehen gibt! Und schließlich und endlich, wenn Ihnen ein kräftiger Duft in die Nase steigt und Sie verschiedene Leute in gleicher Richtung einen Gang entlanggehen sehen, können Sie mit Sicherheit annehmen, dass gleich eine Mahlzeit serviert wird!«
    Ich erwog diese Analogien einen Augenblick lang und sagte dann, indem ich die Erste herausgriff: »Aber ein Kriegsberichterstatter macht noch lange keinen Krieg!«
    »Nein, gewiss nicht. Und eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Aber ein Mörder, Hastings, ein Mörder bedeutet Mord.«
    Dies ließ sich allerdings nicht bestreiten. Dennoch kam mir der Gedanke – der Poirot anscheinend nicht gekommen war –, dass selbst ein Mörder manchmal Urlaub macht. X könnte sich ganz ohne mörderische Absichten

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