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Vorhang

Vorhang

Titel: Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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sehr er an ihr hängt – «
    Poirot nickte. »Genau! Wie Sie wissen, kommt so etwas häufig vor. Unter Streitereien, Missverständnissen und offener Feindseligkeit im Alltag kann eine wahre und echte Zuneigung verborgen sein.«
    Ich stimmte ihm zu. Ich dachte an den zärtlichen Ausdruck, mit dem Mrs Luttrell zu ihrem Mann aufgeblickt hatte, als er sich über sie beugte. Keine Ungeduld mehr, keine üble Laune und keine scharfe Zunge.
    Die Ehe, dachte ich, als ich zu Bett ging, war doch eine seltsame Sache.
    Poirots rätselhaftes Verhalten beunruhigte mich noch immer. Sein neugieriger, forschender Blick – als lauerte er darauf, dass mir etwas Bestimmtes auffallen würde – aber was?
    Als ich mich hinlegte, fiel es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen.
    Wenn Mrs Luttrell getötet worden wäre, dann wäre es ein Fall wie jene andern Fälle gewesen! Dem Anschein nach würde Colonel Luttrell seine Frau getötet haben. Man hätte die Sache als Unfall betrachtet, doch gleichzeitig wäre niemand ganz sicher gewesen, ob das stimmte. Die Beweise hätten für Mord nicht ausgereicht, hätten aber den Verdacht auf Mord auch nicht ausgeschlossen.
    Das bedeutete – das bedeutete –
    Ja, was bedeutete es?
    Das bedeutete – wenn es in dem Ganzen überhaupt einen Sinn gab –, dass nicht Colonel Luttrell auf Mrs Luttrell geschossen hatte, sondern X.
    Aber das war völlig undenkbar! Ich hatte alles genau gesehen. Es war Colonel Luttrell, der geschossen hatte! Ein weiterer Schuss war nicht abgegeben worden.
    Es sei denn – aber das war einfach unmöglich. Nein, vielleicht nicht unmöglich, sondern nur höchst unwahrscheinlich. Doch immerhin möglich… Angenommen, ein anderer hatte den Augenblick abgepasst und im gleichen Moment, als Colonel Luttrell auf ein Kaninchen schoss, auf Mrs Luttrell geschossen. Auf diese Weise hätte man nur einen einzigen Schuss gehört. Oder, bei einer kleinen zeitlichen Differenz, hätte man den zweiten Schuss als Echo wahrgenommen. Jetzt, da ich darüber nachdachte, war ich fast überzeugt, ein Echo gehört zu haben.
    Aber nein, die Vorstellung war absurd. Es ließ sich einwandfrei feststellen, aus welcher Waffe eine Kugel stammte. Die Kerben im Projektil mussten zum Gewehrlauf passen.
    Allerdings würde man dies nur herausfinden, wenn die Polizei es für nötig hielt zu untersuchen, aus welcher Waffe der Schuss abgefeuert worden war. In diesem Fall hätte keine solche Untersuchung stattgefunden. Denn Colonel Luttrell wäre wie jeder andere der festen Überzeugung gewesen, dass er den tödlichen Schuss abgegeben hatte. Dies wäre fraglos als Tatsache akzeptiert worden; niemand wäre auf den Gedanken gekommen, irgendwelche Tests anzustellen. Es hätten nur Zweifel darüber bestanden, ob der Schuss fahrlässig oder in verbrecherischer Absicht abgegeben worden war – eine Frage, die nie geklärt worden wäre.
    Und deshalb lag der Fall genau auf der gleichen Linie wie jene anderen Fälle – dem des Arbeiters Riggs, der annahm, er sei der Täter, obwohl er sich an die Tat nicht erinnern konnte, dem von Maggie Litchfield, die den Verstand verlor und sich eines Verbrechens bezichtigte, das sie vielleicht nicht begangen hatte.
    Ja, dieser Fall glich genau den übrigen, und ich begriff jetzt, was Poirots seltsames Verhalten zu bedeuten gehabt hatte. Er hatte darauf gewartet, dass mir diese Tatsache auffiel.

10
     
    A m nächsten Morgen teilte ich Poirot meine Überlegungen mit. Sein Gesicht hellte sich auf, und er nickte anerkennend.
    »Ausgezeichnet, Hastings! Ich war gespannt, ob Ihnen die Ähnlichkeit auffallen würde. Ich wollte Sie nicht mit der Nase darauf stoßen.«
    »Dann habe ich also recht? Dies ist ein weiterer Fall X?«
    »Zweifellos.«
    »Aber warum, Poirot? Was ist das Motiv?«
    Poirot schüttelte den Kopf.
    »Haben Sie keine Vermutung?«
    »Doch, ich habe eine Vermutung«, antwortete Poirot langsam.
    »Sie kennen den Zusammenhang zwischen all diesen verschiedenen Fällen?«
    »Ich glaube, ja.«
    »Also los!« Ich konnte meine Ungeduld kaum zügeln.
    »Nein, Hastings!«
    »Aber ich muss es wissen!«
    »Es ist viel besser, wenn Sie keine Ahnung haben.«
    »Weshalb?«
    »Sie müssen mir einfach glauben!«
    »Sie sind unverbesserlich«, sagte ich. »Sie sitzen hier, hilflos und verkrüppelt von Arthritis! Und noch immer versuchen Sie es im Alleingang.«
    »Ganz und gar nicht, Hastings! Sie spielen sogar eine sehr wichtige Rolle. Sie sind meine Augen und meine Ohren. Ich weigere mich nur,

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