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Vorhang

Vorhang

Titel: Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Ihnen Informationen zu geben, die gefährlich sein könnten.«
    »Für mich?«
    »Für den Mörder.«
    »Sie wollen nicht«, sagte ich langsam, »dass er denkt, Sie seien ihm auf der Spur. Ist das der Grund? Oder meinen Sie, ich kann nicht selbst auf mich aufpassen?«
    »Das eine zumindest sollte Ihnen klar sein, Hastings: Ein Mann, der einmal getötet hat, wird wieder töten – und wieder und wieder.«
    »Auf jeden Fall«, erklärte ich grimmig, »hat es diesmal keinen Mord gegeben. Eine Kugel wenigstens hat das Ziel verfehlt.«
    »Ja, das war Glück – wirklich Glück! Wie ich Ihnen schon sagte, lassen sich diese Dinge schwer vorhersehen.«
    Er seufzte. Sein Gesicht nahm einen gequälten Ausdruck an.
    Ich entfernte mich leise in der traurigen Erkenntnis, dass Poirot unfähig geworden war, längere Anstrengungen durchzustehen. Sein Verstand war noch so scharf wie früher, aber er war jetzt ein kranker und müder Mann.
    Poirot hatte mich vor dem Versuch gewarnt, die Identität von X zu erforschen. Innerlich hielt ich jedoch noch immer an der Vorstellung fest, dass ich X schon kannte. Es gab auf Styles nur einen einzigen Menschen, dessen Charakter mir ausgesprochen missfiel. Durch eine einfache Frage konnte ich mir über einen bestimmten Punkt Gewissheit verschaffen. Der Rest würde zwar nur ausschließenden Charakter haben, aber dennoch von einigem Wert sein.
    Ich zog Judith nach dem Frühstück beiseite.
    »Wo seid ihr, du und Major Allerton, gestern Abend, als ich euch traf, gewesen?«
    Das Dumme ist, dass man dazu neigt, über dem einen Aspekt an einer Sache alle anderen zu vergessen. Ich fuhr deshalb erschrocken zusammen, als Judith mich wütend anfauchte.
    »Also wirklich, Vater, ich weiß nicht, was dich das angeht!«
    Ich starrte sie bestürzt an. »Ich – ich hab ja nur gefragt.«
    »Weshalb? Warum musst du mich dauernd aushorchen? Was ich gemacht habe, wohin ich gegangen bin, mit wem ich zusammen war – es ist wirklich nicht auszuhalten!«
    Das Komische an der Sache war natürlich, dass ich diesmal gar nicht Judith meinte. Mein Interesse galt Allerton.
    Ich versuchte, sie zu besänftigen. »Aber Judith, ich werde doch noch eine einfache Frage stellen dürfen!«
    »Ich begreife nicht, weshalb du das wissen willst.«
    »Es ist auch nicht so wichtig. Ich meine, ich habe mich nur gewundert, wieso anscheinend keiner von euch beiden – äh – gewusst hat, was geschehen war.«
    »Du meinst den Unfall? Nun, wenn du es unbedingt wissen musst: Ich war im Dorf, um Briefmarken zu holen.«
    Ich hakte bei dem Wörtchen »ich« ein. »Allerton hat dich nicht begleitet?«
    Judith stöhnte verzweifelt. »Nein, das hat er nicht«, erwiderte sie eisig. »Wir haben uns nämlich erst kurz vorm Haus getroffen, und zwar zwei Minuten, bevor wir dir begegneten. Ich hoffe, du bist jetzt zufrieden. Aber ich sag dir, es geht dich nichts an, und wenn ich den ganzen Tag mit Major Allerton herumspazieren würde! Ich bin einundzwanzig und verdiene mir mein Geld selbst, und wie ich meine Zeit verbringe, ist allein meine Sache!«
    »Natürlich«, sagte ich in dem Versuch, sie zu bremsen.
    »Ich bin froh, dass du der gleichen Meinung bist.« Judith schien besänftigt zu sein. Sie lächelte ein wenig. »Ach, mein Lieber, versuche doch mal, dich nicht immer so als Vater aufzuspielen! Du hast ja keine Ahnung, wie einem das auf die Nerven geht! Mach doch nicht so viel Theater!«
    »Ich werde mich bessern – wirklich!«, versprach ich.
    In diesem Augenblick tauchte Franklin auf und sagte: »Hallo, Judith! Kommen Sie, wir sind heute spät dran.«
    Man konnte seine kurz angebundene Art kaum als höflich bezeichnen, und ich war gegen meinen Willen verärgert. Ich wusste, dass Franklin Judiths Arbeitgeber war, über ihre Zeit verfügen konnte und, da er dafür bezahlte, auch berechtigt war, ihr Anweisungen zu geben. Dennoch sah ich nicht ein, weshalb er ihr nicht mit der üblichen Höflichkeit begegnete. Seine Umfangsformen waren zwar auch sonst nicht gerade vorbildlich, aber im Allgemeinen bemühte er sich um eine gewisse Verbindlichkeit. Doch Judith gegenüber war sein Auftreten, vor allem in letzter Zeit, immer sehr schroff und kühl. Er sah sie kaum an, wenn er mit ihr sprach, und bellte nur Befehle. Judith schien es ihm nicht nachzutragen, aber ich tat es. Mir kam in den Sinn, dass sein Benehmen besonders unglückselig war, weil es einen so scharfen Gegensatz zu Allertons übertriebener Aufmerksamkeit bildete. Zweifellos war John Franklin

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