Vorhang
ein zehnmal besserer Mann als Allerton, doch was seine Anziehungskraft betraf, schnitt er im Vergleich zu ihm sehr schlecht ab.
Ich sah Franklin nach, wie er zum Labor hinunterging: Sein linkischer Gang, seine eckige Gestalt, sein knochiges Gesicht mit den Sommersprossen, sein rotes Haar – ein ungelenker und hässlicher Mann ohne irgendwelche augenfälligen Qualitäten. Ein kluger Kopf, das ja, aber einen klugen Kopf allein wussten die wenigsten Frauen zu schätzen. Mit Bestürzung dachte ich daran, dass Judith wegen ihrer Arbeitsbedingungen praktisch nie mit anderen Männern in Berührung kam. Sie hatte keine Gelegenheit, verschiedene attraktive Männer miteinander zu vergleichen. Gemessen an dem schroffen, abweisenden Franklin musste Allertons windiger Charme sie natürlich beeindrucken! Meine arme Tochter hatte keine Chance, seinen Charakter richtig einzuschätzen.
Wenn sie sich ernsthaft in ihn verliebte? Die Gereiztheit, die sie eben gezeigt hatte, war ein beunruhigendes Zeichen. Ich wusste, dass Allerton ein übler Kerl war – möglicherweise mehr als das! Wenn Allerton X war?
Er konnte es sein: Als der Schuss fiel, waren er und Judith nicht zusammen gewesen.
Und das Motiv für alle diese anscheinend sinnlosen Verbrechen? Ich war der festen Überzeugung, dass Allerton nichts von einem Wahnsinnigen an sich hatte. Er war vollkommen normal – und vollkommen gewissenlos.
Und Judith – meine Judith – sah ihn bei Weitem zu oft.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir wegen meiner Tochter keine großen Sorgen gemacht, denn die Beschäftigung mit X und der Möglichkeit, dass sich jeden Augenblick ein Verbrechen ereignen konnte, hatte die persönlicheren Probleme in den Hintergrund treten lassen.
Nun, da es passiert war, da ein Anschlag geschehen und zum Glück fehlgeschlagen war, hatte ich meinen Kopf wieder frei, um über diese Dinge nachzudenken. Und je mehr ich das tat, desto besorgter wurde ich. Eine zufällige Bemerkung, die ich einmal auffing, enthüllte mir die Tatsache, dass Allerton verheiratet war.
Boyd Carrington, der über alles und jeden informiert war, setzte mich genauer ins Bild. Allertons Frau war gläubige Katholikin und hatte ihn kurz nach der Hochzeit verlassen. Aus religiösen Gründen kam eine Scheidung nicht infrage.
»Und wenn Sie meine Meinung hören wollen«, sagte Boyd Carrington offen, »so kann das diesem Windhund nur recht sein. Seine Absichten sind immer unehrenhafter Art, und eine Frau im Hintergrund erleichtert ihm vieles.«
Für einen Vater sehr angenehm zu hören!
Die Tage nach dem Unfall verliefen nach außen hin ziemlich ereignislos, doch meine Unruhe wuchs.
Colonel Luttrell verbrachte die meiste Zeit im Krankenzimmer seiner Frau. Eine Pflegerin war engagiert worden und kümmerte sich um die Kranke, sodass Schwester Craven wieder Mrs Franklin zur Verfügung stand.
Ohne boshaft sein zu wollen, muss ich anmerken, dass ich an Mrs Franklin Zeichen von Gereiztheit feststellte, weil sie nicht mehr die Hauptperson war. Die Aufregung und Fürsorge, die sich auf Mrs Luttrell konzentrierte, verbitterten die kleine Dame, die es gewohnt war, dass ihre eigene Gesundheit im Mittelpunkt des Interesses stand.
Sie ruhte in einem Liegestuhl, presste die Hand an die Brust und klagte über Herzklopfen. Kein Gericht, das auf den Tisch kam, passte ihr, und bei allen Wünschen, die sie hatte, trug sie eine große Leidensmiene zur Schau.
»Ich hasse es, dass man wegen mir so viele Umstände machen muss«, klagte sie Poirot. »Ich schäme mich meiner angegriffenen Gesundheit. Es ist so – so demütigend, andere Leute ständig um Gefälligkeiten bitten zu müssen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Krankheit direkt ein Verbrechen ist. Wenn man nicht gesund und unempfindlich ist, passt man nicht in diese Welt und sollte stillschweigend verschwinden.«
»Aber nein, Madame!« Poirot war galant wie immer. »Die zarte exotische Blume braucht den Schutz des Gewächshauses – sie kann die rauen Winde nicht vertragen. Das gemeine Unkraut hingegen gedeiht bei jedem Wetter, doch deswegen ist es nicht höher zu schätzen. Sehen Sie mich an – verkrüppelt, unfähig, auch nur einen Schritt zu gehen! Aber ich – ich denke nicht daran, dem Leben den Rücken zu kehren. Ich freue mich an dem, was mir geblieben ist – am Essen, am Trinken und an den Vergnügungen des Geistes.«
Mrs Franklin seufzte und murmelte: »In Ihrem Fall ist das auch etwas anderes. Sie sind nur für sich allein
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