Vorhang
sie untersuchen wollten. John stellte sich freiwillig zur Verfügung. Er ließ sich für ungefähr sechsunddreißig Stunden in einen Tank einschließen und kontrollierte dabei Puls, Temperatur und Atmung, um die Nachwirkungen zu erforschen und festzustellen, ob sie für Mensch und Tier die Gleichen sind. Es war ein schreckliches Risiko, wie einer der Professoren mir nachträglich erzählte. Es hätte ihn leicht das Leben kosten können. Aber so ist John – er denkt nie an seine eigene Sicherheit. Ich finde es großartig, wenn man so ist, Sie nicht? Ich hätte nicht genug Mut.«
»Es erfordert tatsächlich sehr viel Mut, so etwas freiwillig zu tun«, meinte Poirot.
»Ja, das stimmt!«, sagte Barbara Franklin. »Ich bin schrecklich stolz auf ihn, wissen Sie, aber gleichzeitig mache ich mir auch Sorgen. Denn nach einer gewissen Zeit genügen Meerschweinchen und Frösche nicht mehr. Dann will man die menschliche Reaktion kennenlernen. Deshalb habe ich so furchtbare Angst, dass John diese scheußliche Bohne an sich selbst ausprobiert und etwas Schreckliches passiert.« Sie seufzte und schüttelte den Kopf. »Aber er lacht nur über meine Befürchtungen. Er ist wirklich eine Art Heiliger.«
In diesem Moment tauchte Boyd Carrington auf. »Hallo, Babs, bist du fertig?«
»Ja, Bill, ich habe nur auf dich gewartet.«
»Hoffentlich wird es dich nicht zu sehr anstrengen.«
»Bestimmt nicht. Ich fühle mich besser als seit Jahren.«
Sie stand auf, lächelte uns zu und ging mit ihrem Begleiter über den Rasen davon.
»Dr. Franklin, der moderne Heilige – hm«, bemerkte Poirot.
»Ein ziemlicher Stimmungswechsel«, sagte ich. »Aber die Dame ist wohl so.«
»Wieso denn?«
»Nun – sie gefallt sich in verschiedenen Rollen. Einmal ist sie die unverstandene, vernachlässigte Gattin, ein andermal die aufopfernde, leidende Frau, die dem geliebten Mann keine Last sein will. Heute spielt sie die anbetende Gefährtin. Leider sind alle ihre Rollen etwas überzogen.«
»Sie halten Mrs Franklin für etwas beschränkt, nicht wahr?«, meinte Poirot nachdenklich.
»Nun, ich würde es nicht gerade so ausdrücken – aber sie hat nicht den glänzendsten Intellekt.«
»Aha, sie ist nicht Ihr Typ!«
»Wer ist denn mein Typ?«, entgegnete ich bissig.
Poirot erwiderte überraschend: »Mund auf, Augen zu, und warten, was einem die gute Fee schickt…«
An einer Antwort wurde ich durch Schwester Craven gehindert, die eilig über den Rasen gelaufen kam. Sie lächelte uns mit blitzenden Zähnen zu, schloss die Tür zum Labor auf, ging hinein und kam mit einem Paar Handschuhen zurück.
»Zuerst ein Taschentuch und jetzt die Handschuhe – immer bleibt irgendetwas liegen«, bemerkte sie und eilte zu Barbara Franklin und Boyd Carrington zurück.
Mrs Franklin gehörte offenbar zu jenen geistlosen Frauen, die immer irgendetwas liegen ließen, ihre Sachen verstreuten und von jedem mit größter Selbstverständlichkeit erwarteten, dass er sie holte, und die sogar noch stolz darauf waren. Mehr als einmal hatte ich sie selbstgefällig murmeln hören: »Mein Kopf ist wie ein Sieb.«
Ich sah Schwester Craven nach, wie sie über den Rasen lief. Ihre Bewegungen waren kraftvoll und ausgewogen. »Diese Art von Leben müsste eine junge Frau doch bald satt bekommen«, sagte ich unwillkürlich. »Ich meine, wenn es gar nicht so viel zu pflegen gibt – wenn man nur Sachen holen oder wegtragen muss. Mrs Franklin ist bestimmt nicht sehr rücksichtsvoll oder freundlich.«
Poirots Antwort war ausgesprochen ärgerlich. Ohne ersichtlichen Grund schloss er die Augen und murmelte: »Kastanienbraunes Haar.«
Es ließ sich nicht bestreiten, dass Schwester Craven kastanienbraunes Haar hatte, aber ich verstand nicht, weshalb Poirot diese Tatsache gerade jetzt für erwähnenswert hielt.
Ich sagte nichts dazu.
11
E s war, glaube ich, an einem der folgenden Tage vor dem Mittagessen, als eine Unterhaltung stattfand, die mich ziemlich beunruhigte.
Wir waren zu viert – Judith, ich selbst, Boyd Carrington und Norton.
Ich weiß nicht mehr genau, wie wir auf das Thema kamen – jedenfalls diskutierten wir über das Für und Wider der Euthanasie.
Boyd Carrington bestritt wie gewöhnlich den größten Teil des Gesprächs, Norton warf hie und da ein Wort ein, und Judith saß schweigend, aber aufmerksam dabei.
Ich selbst hatte der Meinung Ausdruck gegeben, dass wohl viele vernünftige Gründe zugunsten dieser Sache angeführt werden könnten, dass ich jedoch
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