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Vorhang

Vorhang

Titel: Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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gefühlsmäßig davor zurückschreckte. Außerdem, sagte ich, bekämen die Angehörigen dadurch zu viel Macht in die Hand.
    Norton stimmte mir zu. Er fügte hinzu, sie dürfe seiner Ansicht nach nur auf Wunsch und mit Zustimmung des Patienten durchgeführt werden, und zwar in Fällen, in denen der Tod nach einer längeren Leidenszeit gewiss war.
    »Ja, aber das ist eben das Merkwürdige daran«, wandte Boyd Carrington ein. »Wünscht der Betroffene überhaupt jemals, ›von seinen Leiden erlöst zu werden‹, wie man so schön sagt?«
    Dann erzählte er eine, wie er versicherte, authentische Geschichte von einem Mann, der unheilbar an Krebs erkrankt war und furchtbare Schmerzen litt. Dieser Mann bat den behandelnden Arzt um ein Mittel, ›das allem ein Ende setzen würde‹. Der Arzt antwortete ihm: ›Das darf ich nicht, mein Lieber.‹ Als er wieder ging, ließ er bei dem Patienten einige Morphiumtabletten zurück mit der Erklärung, wie viele er unbeschadet nehmen dürfe und welche Dosis gefährlich sei. Obwohl der Patient über diese Tabletten verfügen konnte und leicht eine tödliche Dosis hätte nehmen können, tat er es nicht. »Das beweist«, sagte Boyd Carrington, »dass der Mann trotz seiner ausdrücklichen Bitte sein Leiden einer raschen und gnädigen Erlösung vorzog.«
    An diesem Punkt mischte Judith sich zum ersten Mal ein. »Natürlich«, sagte sie mit Nachdruck. »Man hätte die Entscheidung nicht ihm überlassen dürfen!«
    Boyd Carrington fragte sie, wie sie das meine.
    »Ich meine, dass jemand, der durch Schmerzen und Krankheit geschwächt ist, nicht die Kraft hat, eine Entscheidung zu treffen. Sie muss ihm abgenommen werden. Es ist die Pflicht derer, die ihn lieben, sie für ihn zu treffen.«
    »Die Pflicht?«, fragte ich zweifelnd.
    Judith wandte sich mir zu. »Ja, die Pflicht! Ein verantwortungsbewusster Mensch mit klarem Verstand muss diese Pflicht auf sich nehmen.«
    Boyd Carrington schüttelte den Kopf. »Um dann wegen Mord vor Gericht gestellt zu werden?«
    »Nicht unbedingt. Außerdem – wenn man jemand liebt, nimmt man diese Gefahr in Kauf.«
    »Aber hören Sie, Judith«, rief Norton, »das ist doch eine schreckliche Verantwortung, die man sich da aufladen soll.«
    »Das finde ich nicht. Die Leute fürchten sich zu sehr davor! Sie übernehmen die Verantwortung gern, wenn es um einen Hund geht – warum nicht auch bei einem Menschen?«
    »Nun – das ist doch etwas anderes, oder nicht?«
    »Ja, es ist viel wichtiger«, sagte Judith.
    »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll«, murmelte Norton.
    »Sie würden das Risiko also eingehen?«, fragte Boyd Carrington Judith neugierig.
    »Ich glaube, ja. Ich habe keine Angst davor.«
    Boyd Carrington schüttelte den Kopf. »Das wäre nicht gut. Es geht nicht, dass jeder x-Beliebige das Gesetz in die eigene Hand nimmt und sich zum Herrn über Leben und Tod aufwirft.«
    »Wissen Sie, Boyd Carrington«, sagte Norton, »die meisten Leute hätten gar nicht den Mumm zu so was.« Er sah Judith lächelnd an. »Sie würden es auch nicht tun, wenn’s darauf ankäme!«
    »Man kann es natürlich nicht genau wissen«, meinte Judith gelassen. »Aber ich glaube schon.«
    »Bestimmt nur, wenn es sich mit Ihren eigenen Interessen vereinbaren ließe«, sagte Norton augenzwinkernd.
    Das Blut schoss Judith ins Gesicht, und sie erwiderte scharf: »Das beweist, dass Sie überhaupt nichts verstanden haben. Wenn ich ein – ein persönliches Motiv hätte, würde ich gar nichts unternehmen. Versteht ihr denn nicht?«, wandte sie sich an uns alle. »Es muss absolut unpersönlich sein. Man dürfte die Verantwortung, ein – Leben auszulöschen, nur dann übernehmen, wenn man sich der eigenen Motive ganz sicher wäre. Es müsste absolut uneigennützig sein.«
    »Trotzdem«, erklärte Norton, »Sie würden es nicht fertig bringen.«
    »Doch«, beharrte Judith. »Für mich ist das Leben nicht so heilig wie für die meisten von Ihnen. Schwaches, nutzloses Leben sollte nicht existieren. Es gibt so schon genug Probleme auf der Welt. Nur Menschen, die der Gemeinschaft förderlich sind, sollten das Recht haben zu leben. Die andren sollten schmerzlos beseitigt werden.« Sie wandte sich unvermittelt an Boyd Carrington. »Sie sind doch der gleichen Meinung, nicht wahr?«
    »Grundsätzlich ja«, antwortete er langsam. »Nur die es wert sind, sollten überleben.«
    »Würden Sie nicht notfalls das Gesetz in die eigene Hand nehmen?«
    »Vielleicht«, meinte Boyd Carrington

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